DAS GILGAMESCH-EPOS von Bohuslav Martinů

Konzertkritik Berliner Singakademie stemmt chorsinfonische Rarität

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Werke von Bohuslav Martinů (1890-1959) kriegt man hierzulande nicht sehr oft zu Ohren, noch viel weniger werden sie öffentlich gespielt. Das mag womöglich daran liegen, dass sie halt "nicht mehr" so slawisch-schön, tschechisch-traditionell wie Smetana (Mein Vaterland, Verkaufte Braut), wie Dvořák (Aus der Neuen Welt, Slawische Tänze) und wie Janáček (Das schlaue Füchslein) klingen - obgleich bei dem Letztgenannten weder Schön noch Tradition dafür verantwortlich zu machen wären, warum ausgerechnet dieser dann, dessen Musik teilweise doch sehr uneinladend-sperrig wirkt, die Spielpläne der Opernbühnen auf der ganzen Welt blockiert. Also was ist es, dass der Martinů so derart "unbeliebt" und noch mehr "unbekannt", und zwar bis heute, war und ist? Ehrlich: Wir wissen's nicht.

Gelegentliche Kostproben seines recht umfangreichen und auch vielfältigen Schaffens konnten wir in letzter Zeit an folgenden zwei Beispielen erhaschen: Die drei Wünsche (O-Titel: Les trois souhaits), eine 2014 durch die UdK Berlin gestemmte Jazzoper des Komponisten, oder beispielsweise auch die Oper Ariane, die das DSO 2015 als Berliner Erstaufführung konzertant darbot. [Ende des Monats wird im Übrigen Juliette, durch Daniel Barenboim, an der Staatsoper im Schiller Theater gezeigt.]

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Jetzt gab es - gestern Abend - wieder einen Martinů, der selten oder nie zur Aufführung gelangt, vorzuentdecken: Die Berliner Singakademie holte Das Gilgamesch-Epos, die 1958 (ein Jahr vor dem Tod ihres genialen Schöpfers!) in Basel uraufgeführte Kantate zupackend aus der Versenkung! Und vielleicht deswegen hier:

"Martinů gab dem Chor besonderes Gewicht, indem er ihn am gesamten Oratorium kontinuierlich beteiligt. Dabei gelingt ihm durch Variierung der Stimmbehandlung eine große Bandbreite an Aussagearten. Im Verlauf des Stückes verändert der Komponist den Gesangsstil der Chorstimmen entsprechend den verschiedenen Rollen, die er dem Chor zugedacht hat. Im ersten Teil das klagende Volk darstellend, verwandelt sich seine Perspektive in der Verführungsszene zum allwissenden Erzähler, dabei wird er nahezu instrumental eingesetzt. Im zweiten Teil hat der Chor abwechselnd die Rolle, die Geschehnisse zu kommentieren, um dann wieder erzählend zu vermitteln; quantitativ ist er in diesem Teil sehr präsent. Im dritten Teil wird er während der Beschwörungsszene erneut fast instrumental eingesetzt, danach dient er der Verstärkung, indem er der Antwort von Enkidu ein Echo beigibt." (Quelle: Wikipedia)

Schier unglaublich, wie geschickt und überzeugend die Damen und Herren der Berliner Singakademie dieses fürwahr nicht eins, zwei, drei so aus dem Ärmel darbietbare Werk herüberzutransportieren in der Lage warn; Respekt, Respekt!!

Dabei hat diese merkwürdige Urgeschichte - denn das babylonische Gilgamesch gab es bereits weit vor der alttestamentarischen Prosa - einen irgendwie verbindenden Sinn-Strang zu der von uns vor ein paar Tagen erst erlebten Haas-Oper Morgen und Abend; in beiden Stücken geht es (auch) um eine Art von "Seelen-Suche", und sowohl bei Martinů als auch bei Haas entpuppt sich dieses eigentlich doch völlig Unsichtbare einerseits als Dampfzustände (Auferstehung Enkidus) und andrerseits als Weißblendungen (Aufseelung Johannes')...

Kritisch anzumerken wäre, dass die altmodische als wie opernopahafte Text-Deklamation der Sprecherrollen (abwechselnd durch den Bassisten und durch den Tenor) viel besser wohl von einem echten Schauspieler hätte geheutigt werden sollen; nein, man muss ja nicht im alten Zauberflöten-Stil ("Großer Sarastro" usf.) so derart schöne Texte, wie sie in dem Gilgamesch-Epos nun mal zu lesen sind, aufs Ungekonnteste herunterleiern.

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Nach der Pause gab es noch Die erste Walpurgisnacht, eine schon durch und durch blasphemisch zu nennende Chorballade von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Von den SolistInnen ragte Christina Roterberg einzig heraus; die andern Namen - siehe unten.

Es musizierte das Konzerthausorchester Berlin, es dirigierte Achim Zimmermann.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 6. Mai 2016.)

BERLINER SINGAKADEMIE (Konzerthaus Berlin, 05.05.2016)
Bohuslav Martinů: Das Gilgamesch-Epos
Felix Mendelssohn Bartholdy: Die erste Walpurgisnacht
Christina Roterberg, Sopran
Isabelle Rejall, Alt
Stephan Rügamer, Tenor
Andreas Jäpel, Bariton
Egbert Junghanns, Bass
Berliner Singakademie
Konzerthausorchester Berlin
Dirigent: Achim Zimmermann

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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