Auch Werke Arnold Schönbergs kamen/kommen - neben dem Carl Nielsen-Schwerpunkt als die eine der hervorragenden Säulen des 2015er Programms des noch bis nächsten Dienstag währenden MUSIKFESTES BERLIN - zur Sprache. Gestern Abend beispielsweise nahm sich Weltpultstar Marek Janowski launig und bewusst das sog. Lied der Waldtaube aus Schönbergs Gurre-Liedern (die wir ganz zuletzt in einer schier verheerend anmutenden Darbietung aus dem Berliner Dom in furchtbarster Erinnerung behielten) vor und wählte hierfür eine vom Komponisten bearbeitete Fassung für Kammerorchester: Die Altistin Karen Cargill und die Musikerinnen und Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin vermittelten uns also einen ungewöhnlich-impressionistisch anheimelnden "Querschnitt" dieser fast schon überexpressionistischen Gewaltorgie (fürs Ohr); das sog. Lied der Waldtaube gibt einen Nachbericht zur Vor- bzw. Subhandlung der wirren Prosa dieses insgesamt doch wüsten Stückes (= Gurre-Lieder). Unser Top-Lieblingsorchesterdramaturg Steffen Georgi tat das auf die für ihn unverwechselbare Art kurzschließen, so hier:
"Eine junge Frau, ganz unschuldig, sehnt nur eines herbei, die immerwährende Vereinigung mit ihrem Geliebten. Das mag sogar den stärksten Mann überfordern. Aber noch mehr wirft den Tapferen aus der Bahn, dass eine andere Frau, seine angetraute nämlich, das Spiel vorzeitig beendet, indem sie die Unersättliche aus dem Weg räumt." (Quelle: RSB-Programmheft v. 16.09.2015)
So wird die Waldtaube - deren sülziger Botengesang ("Botin des Todes von Tove", nennt sie Georgi) von der Schottin Cargill in beeindruckend-tonaler Fülle zu uns rüber transportiert wurde - zu einem Reststück Seele dieser "überreifen Spätromantik", und weswegen sie der Schönberg auch auskoppelte und orchestral beträchtlich reduzierte.
Wann bekommt man dieses Stück, also in dieser Fassung, schon einmal zu hören?!
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Davor gabs den ersten Satz aus Mahlers Zehnter Sinfonie: geerdet, unsentimental serviert.
Danach Nielsens Sinfonia Espansiva: "Sonniges Gemüt" oder"Nielsen vom Lande" oder "weder bitter noch sauer" sind die treffsicheren Schlagzeilen und Überschriften (von Georgi), die das schlichte Stück und seinen talentierten Schöpfer ungefähr verbalisieren; dem ist nicht viel Besseres - Gescheiteres dann sowieso nicht - beizufügen.
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Marek Janowski | © Felix Broede
[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 15.09.2015 auf KULTURA-EXTRA]
MUSIKFEST BERLIN (Philharmonie, 15.09.2015)
Gustav Mahler: Adagio aus Symphonie Nr. 10
Arnold Schönberg: Lied der Waldtaube aus den Gurre-Liedern
Fassung für Kammerorchester (1922)
Carl Nielsen: Symphonie Nr. 3 op. 27 Sinfonia Espansiva
KAREN CARGILL, Mezzosopran
SABINE PUHLMANN, Sopran
YOUNG WOOK KIM, Bass
RUNDFUNK-SINFONIEORCHESTER BERLIN
MAREK JANOWSKI, Leitung
Kommentare 1
Schön, daß die hervorragenden Konzertereignisse hier ihre Würdigung finden. In Schönberg sehe ich einen ungemein strukturell denkenden Komponisten, auch darum liebe ich ihn so sehr. Der strukturelle Reichtum dürfte der Grund sein, daß man seine Musik radikal bearbeiten kann, ohne daß sie merklich Qualität einbüßt. Er selbst, Alban Berg sowie Schüler und Freunde haben Bearbeitungen seiner Werke vorgelegt, Klavierauszüge und kammermusikalische Fassungen erstellt, die kammermusikalischen Übertragungen und Präsentationen von Fremdkompositionen im Rahmen des Vereins für Privataufführungen kommen heute noch häufig zu Gehör und zeigen die Affinität der Wiener Schule zum durchsichtigen solistischen Klang.
Im Fall des Klagegesangs der Waldtaube handelt es sich um ein Stück, das von vornherein zum großen Teil nur mit einer reduzierten Besetzung des Orchesters arbeitet (eine einsam-verlorene Stimme). Das entspricht der Behandlung des großen Orchesters in Pelleas und Melisande, auch dieses extrem orchestrierte Werk ist über weite Strecken Kammermusik. Allerdings kommt dann das crescendo von Wollt ein Mönch am Seile ziehn bis zu Klage sucht ich und den Tod, vom sanftesten Dur (p) bis zum spitzesten Moll (fff), da wüßte ich doch gern, wie das ohne großes Orchester machbar ist.
Daß Schönberg das kann, bezweifele ich keinen Moment, es gibt ein noch krasseres Bearbeitungsbeispiel. Das Sextett Verklärte Nacht gibt es bekanntlich in einer Fassung für Streichorchester (das wurde in einem Beitrag von Michael Jäger diskutiert), naheliegend bei einer so vollendet den delikaten Streicherklang zelebrierenden Musik. Weniger bekannt sein dürfte, daß es eine Fassung für Klaviertrio gibt, normalerweise müßte das in das Desaster einer musikalischen Vergewaltigung führen, bei Schönberg geht es, ergeben sich neue strukturelle Perspektiven. Ich möchte hier auf eine der schönsten Jazzplatten verweisen, die ich kenne, Sleep my love von Philip Catherine. Sie enthält eine Variation über die Verklärte Nacht, die einzige Jazzbearbeitung dieses Stücks, die ich kenne. Das ist keine Mesalliance, man höre sich Janet aus dem Album Babel an, da könnte man Catherine glatt als den frühen Schönberg des Jazz bezeichnen. Des weiteren denke ich an die Triofassung des zweiten Satzes des wunderbaren, von Ihnen hier schon vorgestellten Kammerkonzerts von Alban Berg. Die Aufgabe dieser Übertragung (des Bläsersatzes aufs Klavier) war allerdings wesentlich einfacher.