DAS WUNDER DER HELIANE von Korngold

Premierenkritik Sensationelle Wiederentdeckung an der Deutschen Oper Berlin

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Die tote Stadt galt bisher eigentlich als DIE Oper von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957) - "wenigstens" hatte sie, schon zu Lebzeiten des Komponisten, schier gigantischen Erfolg; und ausgerechnet dieser Nimbus führte halt (und spätestens bis gestern Abend) zu der hinlänglichen und doch abwegigen allgemeinen Annahme, dass es womöglich (außer seiner Toten Stadt) "nichts weiter" geben könnte, was den singulären Ruhm des Mannes irgendwie noch hätte toppen können oder so. Doch weit gefehlt:

Da gibt es beispielsweise auch Das Wunder der Heliane, sieben Jahre nach der Toten Stadt erschaffen!

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Das 1927 an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführte Opus "fasst alles zusammen, was das Musiktheater Korngolds ausmacht – und geht in den Dimensionen noch einen Schritt darüber hinaus: eine riesige Partitur und Orchesterbesetzung, rauschhaftes Pathos und hochexpressive Harmonien, die mit den schillernden Farben der Polytonalität spielen – eine Musik von packender Dramatik und großer Sinnlichkeit". Bruno Walter dirigierte es bereits ein Jahr nach seiner Uraufführung erstmals in Berlin. "Mit dem von den Nazis verhängten Aufführungsverbot des jüdischen Korngold verschwand Das Wunder der Heliane gänzlich aus dem Repertoire – bis zum heutigen Tag. Die Geschichte vom eiskalten Herrscher ohne Liebesfähigkeit, dessen Frau Heliane, die sich einem dionysischen Fremden hingibt, und einem Volk, das auf ein erlösendes Wunder wartet, ist märchenhaft und zeitlos." (Quelle: deutscheoperberlin.de)

Die Story von dem Ding - Libretto von Hans Müller-Einigen nach Die Heilige von Hans Kaltneker - ist hanebüchen: Königin & König stehen einem Land-Volk vor, wo nicht gelacht und nicht geliebt werden darf. Da kommt ein Wanderer des Weges, der in die Gepflogenheiten jener Gegend überhaupt nicht involviert zu seien scheint; also er tut als ob er lacht und liebt und wird dafür sogleich in Untersuchungshaft genommen - Untersuchung deshalb, weil der König von ihm wissen will, wie er das macht, dass er so einfach lachen resp. lieben kann. Dortselbst lauert ihm auch die Königin (die ihren König höchstwahrscheinlich nie zuvor und auch in Zukunft nie und nimmer weder mochte noch rein körperlich begehrte; nein, sonst hätte sie ja nicht so eine sexuelle Aufgeladenheit dem Fremden gegenüber, doch der Reihe nach...) gieriger Weise auf, gibt vor, dass der Gefangene ihr leid täte, ja und das stimuliert denselbigen, quasi als "letzten Willen" vor der Todesstrafe, die ihn bald erwartete, zu einer gleichartigen sexuellen Aufgeladenheit, will sagen dass er mit ihr schlafen will - - sie will es freilich auch, weswegen sie sich urplötzlich vor ihm total entkleidet, aber gleichsam gibt sie rückzugshafter Weise zu erkennen, dass sie das nicht dürfte oder so, weil sie etc. pp. Und langer Rede kurzer Sinn kriegt das der ungeliebte König mit; den packt die kalte Wut, dass "seine" Königin, die er noch nicht einmal berührt zu haben wagte, sich jetzt mirnichtsdirnichts diesem Fremden an den Hals wirft usw. usf. Der Fremde hat dann irgendwann die Schnauze voll, ersticht sich also, und die Königin, die auch als eine Auferstehungspriesterin im Land des Unlächelns und der verbot'nen Liebe gilt, soll ihn wieder zum Leben sozusagen auferwecken - falls ihr das gelänge, wäre sie schlussendlich frei von aller Schuld o.s.ä.

Christof Loy [hat hier am Haus bereits Jenufa und Edward II. inszeniert] reanimierte dieses obsessive Stück jetzt für die DOB. Der karge Großraum von Johannes Leiacker zeigt einen einheitsbühnenbildnerischen Saal im Rundum-Holzgetäfeltsein und, außer einem breiten Tisch und einem Stuhl, "mit ohne" Möbel. Schwarz (90 Prozent) und Weiß (10 Prozent) sind außerdem die Lieblingsfarben für die etlichen Klamotten, die sich Barbara Drosihn für diesen Mega-Opernschinken ausgedacht hat.

Das Entdeckungswürdige verdankt das Werk ganz selbstverständlich seiner Korngold'schen Musik, die Dirigent Marc Albrecht hochgenussvoll-üppig und zugleich doch kammermusikalisch-ausgewogen von der Bühne resp. aus dem rauschigen Orchestergraben zu uns Hörende herübertransportiert. Fast pausenlos wird vom gesamten Personal laut-kräftig ausgesungen, ja und insbesondere der ab dem zweiten Akt hinzugevölkte Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin (Choreinstudierung: Jeremy Bines) steigert sich mehr und mehr in Exzessivitäten; er wird gar zu einem Bollwerk, das sich selbst in regelrechte Rage singt! Der helle Wahnsinn alles das!!

Sensationell die drei GesangsprotagonistInnen:

Sara Jakubiak und Josef Wagner (= Heliane und Der Herrscher; also Königin & König) attackieren Brian Jagde (= Der Fremde; also unser Wanderer) - alle drei zum Abknien!!!

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin "zeigt" hochauthentisch, wie so Korngold klingt, so zwischen Frau ohne Schatten und Turandot und doch ganz eindeutig nach Erich Wolfgang Korngold!

Nicht enden wollender Beifall.

Irrer Abend.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 19.03.2018.]

DAS WUNDER DER HELIANE (Deutsche Oper Berlin, 18.03.2018)
Musikalische Leitung: Marc Albrecht
Inszenierung: Christof Loy
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Barbara Drosihn
Licht: Olaf Winter
Chöre: Jeremy Bines
Dramaturgie: Dorothea Hartmann und Thomas Jonigk
Besetzung:
Heliane ... Sara Jakubiak
Der Herrscher, ihr Gemahl ... Josef Wagner
Der Fremde ... Brian Jagde
Die Botin ... Okka von der Damerau
Der Pförtner ... Derek Welton
Der blinde Schwertrichter ... Burkhard Ulrich
Der junge Mann ... Gideon Poppe
6 Richter ... Andrew Dickinson, Dean Murphy, Thomas Florio, Clemens Bieber, Philipp Jekal und Stephen Bronk
2 Seraphische Stimmen ... Sandra Hamaoui und Meechot Marrero
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 18. März 2018.
Weitere Termine: 22., 30.03. / 01., 06.04.2018

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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