DER FALL CORNELIUS GURLITT als Theaterstück

Uraufführung ENTARTETE KUNST von Ronald Harwood im Berliner Renaissance-Theater

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Rolf Nikolaus Cornelius Gurlitt (1932-2014) ist als "natürlicher" Erbe von über 1.500 Werken der Weltkunst, die sein Vater Hildebrand Gurlitt (1895-1956) kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges als sachverständiger Haupteinkäufer für das geplante Hitlermuseum in Linz europaweit zusammenklaubte, in die Geschichte eingegangen. Selbige Werke hielt der Sohn des im Auftrag der Nazis agierenden Kunsthistorikers und -händlers (mit jüdischer Abstammung!) jahrzentelang bei sich daheim versteckt. Die sog. "Gurlitt-Sammlung" flog im Winter des Jahres 2012 auf, als das Amtsgericht Augsburg im Zuge einer steuerfahndlichen Ermittlung einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss für Gurlitts Münchner Wohnung bewilligte - das Nachrichtenmagazin Focus recherchierte in der Angelegenheit und machte diesen Fall weltweit publik; es wurde eine Sensation!

Auch der britische Dramatiker Ronald Harwood (geb. 1934) - bekannt für Stücke anspruchsvollen Boulevards oder diverse Drehbücher zu Filmen des gehobenen Geschmacks - kriegte bald Wind von der Geschichte und verarbeitete sie umgehend als ein Sprechstück, das das Renaissance-Theater Berlin im letzten Herbst erfolgreich uraufführte:

Der sich in seiner privaten (Kunst-)Welt verschanzt habende und mit einer Schmalspureisenbahn herumspielende Protagonist aus Entartete Kunst - der Fall Cornelius Gurlitt wird von zwei ihn behelligenden und verhörenden Steuerfahndern belagert. Es kommt zu einem zweistündigen Frage-Antwort-Spiel. Die auf der Bühne (in der imposanten Ausstattung von Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos) befindliche Auswahl der vermeintlichen Bilder - aus der sog. "Sammlung Gurlitt" - steht erst verkehr herum, also geheimnisvoll verborgen, ja und nach der Pause umgedreht, also behördlich registriert und sozusagen ausgestellt.

Udo Samel spielt den einsamen und alten Delinquenten als autistisch wirkende oder sich diesbezüglich so gebärdende menschliche Kreatur. War der Verbergungscoup des allzu plötzlich Aufgeflogenen nun Ausdruck eines manischen Defekts oder gewieftestes Kalkül? Beides wäre - wenn man dem darstellenden Mimen Glauben schenkte - möglich.

Das Behörden-Paar kriegt durch den Inszenierer Torsten Fischer moderaten spießig-fiesen Touch verpasst und hätte freilich noch viel distanziert-ironischer agieren können als in der mehr unterbelichteten Vortragsweise - Anika Mauer und Boris Aljinovic verkörpern es.

Ja und Ralpf Morgenstern hat einen kurzen Schattenhändler-Auftritt, der (lt. Stück) erklären oder demonstrieren soll, auf welchen weit verzweigten Spinnenfädenwegen der (oft kriminelle) internationale Kunsthandel bis heute wohl so abläuft.

Handwerklich solide gearbeitet und hochinformativ im Ganzen.

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Als geradezu vorzüglich muss das von der Dramaturgin Gundula Reinig verantwortete Programmheft bezeichnet sein; ich habe Alles hierin gelesen! [Mache ich in andern Fällen nie oder sehr selten.] Beispielsweise hatte sie ein Interview mit dem Berliner Staranwalt Peter Raue, einer weltweit anerkannten Koryphäe für Kunst-, Urheber- und Restitutionsrecht, geführt. Dieser gibt uns allgemeinverständlich Aufklärung hinsichtlich all der kompliziert scheinenden justitiablen Fragen, die das Thema halt so mit sich bringt.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 26.05.2016.]

ENTARTETE KUNST (Renaissance-Theater Berlin, 25.05.2016)
DER FALL CORNELIUS GURLITT

Regie: Torsten Fischer
Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos
Dramaturgie: Gundula Reinig
Besetzung:
Cornelius Gurlitt ... Udo Samel
Karl Friedrich ... Boris Aljinovic
Lise Schmidt ... Anika Mauer
Andras Weisz ... Ralph Morgenstern
Uraufführung war am 4. Oktober 2015
Weiterer Termin: 26. 5. 2016

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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