DER GOLDENE SCHWANZ von Rebekka Kricheldorf

#stuecke2021 46. Mülheimer Theatertage

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Am kommenden Samstag enden die 46. MÜLHEIMER THEATERTAGE mit der traditionellen Vergabe des "Mülheimer Dramatikerpreises", einer der renommiertesten Trophäen, mit denen sich deutschsprachige Stückeschreiberinnen und Stückeschreiber schmücken konnten oder können. Zu den Preisträgern (seit 1976), die von der Jury schon mehrmals auserkoren wurden, zählen beispielsweise Thomas Köck (2019, 2018), Wolfram Höll (2016, 2014), Elfriede Jelinek (2011, 2009, 2004, 2002), Dea Loher (2008, 1998) oder René Pollesch (2006, 2001). Das Sympathische des Wettbewerbes ist, dass nicht etwa die Qualität der sieben oder acht gezeigten Inszenierungen, sondern ausschließlich die der jeweiligen Stücke ausschlaggebend für die Preisvergabe ist.

Nunmehr verfolgten wir im Rahmen des noch bis zum 29. 5. laufenden Online-Festivals STÜCKE 2021 einen Stream des Staatstheaters Kassel, wo Der goldene Schwanz von Rebekka Kricheldorf im Dezember 2020 zur Uraufführung gelangte:

"In der Märchenwelt der Brüder Grimm herrscht ausgleichende Gerechtigkeit – und eine sehr klare Vorstellung über Männer- und Frauenrollen: Von den Stiefschwestern gemobbt und von der Stiefmutter gedemütigt, bekommt das fleißige, sittsame Aschenputtel am Ende den reichen Prinzen – und wird also vom ascheverstaubten heimischen Herd direkt ins goldene Schloss weggeheiratet." schreibt Christine Wahl vom Auswahlgremium der 46. MTT - und weiter:

"Zweihundert Jahre später, in Rebekka Kricheldorfs Aschenputtel-Variante Der goldene Schwanz, stellt sich die Lage nicht nur deutlich komplexer, sondern auch um ein Vielfaches lustiger dar. Souverän nimmt die Dramatikerin, die dem Mülheimer 'Stücke'-Publikum längst als große Komödienautorin bekannt ist, den kapitalistischen Topos vom Sozialaufstieg durch Heirat auseinander, um mit hintergründiger Diskursfitness heutige Rollenmodelle und Lebensentwürfe generell auf den Prüfstand zu stellen." (Quelle: stuecke.de)

Eingebetteter Medieninhalt

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Das Stückbuch von der Kricheldorf zählt 55 Schreibmaschinenseiten und ist in zwölf Szenen aufgegliedert.

Es hat sieben handelnde Personen, fünf davon "entstammen" einer Family, die Thausendbeauty heißt oder sich derart nennt, konkret: das Mädchen Aschenputtel, sein Vater (Dad), seine Stiefmutter (Mom) und seine beiden Stiefschwestern (Sis & Sista); die zwei anderen Figuren sind der sprechende Doppelvogel Taube & Taube sowie die mehr oder weniger total verkrachte TV-Bachelor-Existenz des rumänischen Gastarbeiters Ciprian Antonescu (Prinz), der seinerseits die ganze Zeit über von seiner Agentin Tamara, die jedoch nie auftritt, faselt.

Die Family wird als Sozialfall vorgeführt, und die vier Frauen - insbesondere die dominante Schreckensmutter - sehen eigentlich nur einen Ausweg aus ihrer (Sozial-)Falle: "Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!", und so zitieren sie tatsächlich Bertolt Brecht. Ja und den "Wohlstand" meinen und vermeinen sie sich durch eine entsprechend passende Partie hinzuzuheiraten. Rein zufällig gewinnen sie bei einem Fernseh-Quiz ein Live-Dating mit einem stadt- und landbekannten Fernsehstar, welcher als eine Art von Bachelos seit Jahren schon sein Unwesen in den Privaten treibt - also ein Fernsehstar sprich Bachelor sprich megareich. Nichts wie hin bzw. nichts wie ran! "Es reicht, wenn eine von uns, nur eine, den goldenen Schwanz zu fassen bekommt", meint die habgierige Schreckensmutter...

Und dann kommt halt dieses alte Aschenputtel-Muster mit zum Vorschein, und das Aschenputtel soll's am Ende richten, weil die beiden Aschenputtel-Stiefschwestern zu doof hierfür sind, doch das Aschenputtel tut sich in den Prinzen verlieben, oder es denkt, dass es sich in ihn verliebt hat usw. usf.

Zum Schluss des Stückes hin flacht es ein bisschen ab, d.h. dass alle dann entnervend viel über sozialgesellschaftliche Muster plappern, also über all die Sachen, die man so schon vom Erzählen her oder aus eigenem Erleben zugenüge kennt. Nichts Neues, keine Groß- und keine Kleinvisionen; nur noch so'n Tussi-Geseiere.

Doch macht ja nichts - das Stück hörte sich trotzdem ganz gut und spritzig an.

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Es spielten: Judith Florence Ehrhardt, Meret Engelhardt, Eva-Maria Keller, Aljoscha Langel, Anke Stedingk, Rahel Weiss und Jürgen Wink (in alphabetischer Reihenfolge).

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 27.05.2021.]

DER GOLDENE SCHWANZ (Staatstheater Kassel, 26.05.2021)
von Rebekka Kricheldorf

Regie: Schirin Khodadadian
Bühne: Daniel Roskamp
Kostüme: Ulrike Obermüller
Musik: Katrin Vellrath
Dramaturgie: Michael Volk
Mit: Judith Florence Ehrhardt (Sista), Meret Engelhardt (Sis), Eva-Maria Keller (Taube & Taube), Aljoscha Langel (Prinz), Anke Stedingk (Mom), Rahel Weiss (Aschenputtel) und Jürgen Wink (Dad)
Uraufführung war am 5. Dezember 2020.
Live-Stream auf stuecke.de am 26.05.2021

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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