DER ROSENKAVALIER (Regie: Barrie Kosky)

TV-Kritik Vladimir Jurowski ließ die reduzierte Orchesterfassung von Eberhard Kloke an der Bayerischen Staatsoper musizieren

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Vladimir Jurowski, designierter Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, griff jetzt - beim neuen Rosenkavalier im Nationaltheater München (der alte, in der Inszenierung Otto Schenks, fristete dort ein über 50 Jahre altes Dauer-Dasein) - auf die reduzierte Orchesterfassung von Eberhard Kloke zurück, d.h. im Graben des Bayerischen Staatsorchesters saßen zirka 40 Musikerinnen und Musiker, auch warn Harmonium und Klavier hinzubestellt; im Ganzen hörte es sich ähnlich an wie Ariadne auf Naxos (wo es allerdings dann Strauss' Originalbesetzung ist). Der Klang hatte etwas Pastellnes, er war auseinanderhaltbar und hatte daher auch kammermusikalischen Geruch - das sängerische Personal müsste das wie ein wohltuendes Bad genossen haben; seiner generellen Textverständlichkeit tat diese schöne Art von Spa naturgegebnermaßen mehr als gut.

Das Frauentrio wurde ideal besetzt:

Die Sopranistin Marlis Petersen (mit übertragbaren Sophie-Erfahrungen) gestaltete die Marschallin in ihrer lebemännischen Emanzipiertheit sowie lebensweisheitlichen Demut nach dem Motto "jetzt ist jetzt, und morgen ist es ohnehin zu spät", d.h. sie nimmt sich, was sie augenblicklich braucht, und sie begreift gleichsam dieses nicht fassbare Vergängliche, dieses rein physische Versagen eines körperlichen Impetus - spätestens kurz vor einer endgültigen Aufbettung in einem sie umkammernden Hospiz... Die Petersen tat niemals melancholisieren, und ihr herrlich satter Glockenton teilte sich erdanziehend und untrübbar mit.

Beim Rosenkavalier Samantha Hankey hätte ich mich nicht entscheiden wollen, wem "er" besser stand - sowohl mit Petersen als auch der anbetungswürdigen Katharina Konradi (als Sophie) ergänzte sie sich aufs Vorzüglichste.

Und das Terzett am Schluss der Oper!!! Übernatürlich. (Nein, ich finde keine weiteren Worte.)

Barrie Kosky (Inszenierung) ließ die beiden Jungen dann auch in die Höhe abdriften, während dann die Zurückgebliebene ihr konstatierendes "Ja, ja" am Standuhrkasten absondert.

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Dem Regisseur und seinem Bühnenbildner Rufus Didwiszus fiel Großartiges ein - ein Sammelsurium an Geniestreichen (die sich entgegnenden Stunden- und Minutenzeiger, die Sängerszene im Stile Ludwigs XIV., die Kutsche in der Bauart Ludwigs II., das Theater im Theater und und und).

Auch wiederholte Kosky die Dreidimensionalität seiner Erzählweise, wie er sie schon in seinen triumphalen Meistersingern(Bayreuth 2017) bis zur Perfektion getrieben hatte - hier [imRosenkavalier] entwickelte er die drei Akte aus den Einzelperspektiven von Marschallin, Sophie, Octavian.

Nicht zu vergessen: Christof Fischesser, der seinen Ochs von Lerchenau trotz seines sexuellen Unbeherrschtseins bar "unangemessner" Übergriffigkeit als nonchalanten Wiener Zeitgenossen präsentierte; dieser Part scheint mit zum Schwersten zu gehören, was das Bassbaritonfach so bietet, ja und Fischesser meisterte alles das mit spielerischer Leichtigkeit. Chapeau!

Grandios auch, so wie eh und je, Johannes Martin Kränzle (als der Herr von Faninal).

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA v. 21.03.2021.]

DER ROSENKAVALIER (Nationaltheater München, 21.03.2021)
Transkription für Soli, Chor ad lib. und mittelgroßes Orchester op. 90 von Eberhard Kloke

Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühne: Rufus Didwiszus
Kostüme: Victoria Behr
Licht: Alessandro Carletti
Chor: Stellario Fagone
Dramaturgie: Nikolaus Stenitzer
Besetzung:
Die Feldmarschallin ... Marlis Petersen
Der Baron Ochs auf Lerchenau ... Christof Fischesser
Octavian ... Samantha Hankey
Herr von Faninal ... Johannes Martin Kränzle
Sophie ... Katharina Konradi
Jungfer Marianne Leitmetzerin ... Daniela Köhler
Valzacchi ... Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Annina ... Ursula Hesse von den Steinen
Ein Polizeikommissar ... Martin Snell
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin ... Manuel Günther
Der Haushofmeister bei Faninal ... Caspar Singh
Ein Notar ... Christian Rieger
Ein Wirt ... Manuel Günther
Ein Sänger ... Galeano Salas
Adelige Waise ... Emily Pogorelc, Sarah Gilford und Daria Proszek und
Eine Modistin ... Eliza Boom
Ein Tierhändler ... George Vîrban
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester
Premiere (ohne Publikum) war am 21. März 2021.
TV-Übertragung auf arte v. 21.03.2021

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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