DON QUICHOTTE von Jules Massenet

Premierenkritik Der Regisseur und Zauberer Jakob Ahlbom verkonzentrierte den auf Französisch veroperten Ritterroman zur Lovestory

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Ein Jahr bevor Götz Friedrich (der bis dahin Oberspielleiter an der Ost-Berliner Komischen Oper gewesen war) nach einem Stockholm-Gastspiel nicht mehr in die DDR zurückkehrte und so im Westen blieb, ließ er es in dem weltberühmten Traditionshaus in der Behrenstraße nochmal richtig krachen. 1971 tat er dort Jules Massenets Comédie-héroïque Don Quichotte inszenieren. Die sich als Sozial- sowie Moralanklage gegen ein dem Spielkasino- und Verderbtheitskapitalismus aufschwingende Produktion kann aktuell (in voller Länge!) als ein auf Youtube arg laienhaft kommunizierter DEFA-Mitschnitt eingesehen und sodurch als aufschlussreiches Dokument zu über 70 Jahren KOB bewundert werden.

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Nunmehr - und im gleichen Haus, wo Friedrich "etwas später" einer der erfolgreichsten Musiktheaterregisseure sowie -intendanten in der alten Bundesrepublik geworden war - hatte die Massenet-Oper am Hause in der Bismarckstraße ihre schon "etwas verspätete", dafür aber umso bejubeltere DOB-Premiere:

Sie "ist Massenets vorletzter Beitrag zum Musiktheater und in mehrfacher Hinsicht ein Werk über das Alter und den Tod: Der 68-jährige Komponist war selbst von Krankheit gezeichnet und brachte im Bett liegend die Noten aufs Papier. Nicht nur mit dem an gebrochenem Herzen sterbenden Don Quichotte fragt Massenet am Ende des Lebens, wie es gelingen kann, die Träume vom eigenen Glück Realität werden zu lassen. Auch mit der schillernden Figur der Dulcinea erzählt er, wie sich hinter einer Fassade vermeintlich purer Lebenslust die Angst vor der Vergänglichkeit verbirgt." (Quelle: deutscheoperberlin.de)

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Der v.a. auch als Illusionist und Pantomimekünstler allerorts Furore gemacht habende Tausendsassa Jakop Ahlbom fokussierte seine Deutungshoheit hinsichtlich der eigentlich doch hochsentimentalen und mit dem Cervantes-Original kaum noch etwas zu tun habenden Lovestory aufs prinzipielle Freilegen des Hirngespinstigen aus Perspektive ihres Hauptprotagonisten. Die zwei Ausstatterinnen Katrin Bombe (Bühne) sowie Katrin Wolfermann (Kostüme) assistierten ihm da kongenial. Ja und so sah man viel Vervielfachtes, Vergrößertes, Verwachsenes, Verunstaltetes aller Art und glaubte sich gemeinsam mit der Hauptgestalt in ein zerrspiegeliges Kabinett seiner Gedanken abverirrt zu haben. Das wirkte schon sehr beeindruckend und überzeugte allemal.

Mit Dirigent Emmanuel Villaume, einem exzeptionellen Kenner als wie Könner der französischen Musik im nahen und auch fernen Umfeld von Massenet (Bizet, Berlioz, Gounod, Saint-Saëns, aber auch Offenbach und/oder Meyerbeer) konnte man sicher sein, dass das Orchester der Deutschen Oper Berlin authentisch-stilsicher aus dem Orchestergraben klingen würde. Die Musik hat einen Maximalgrad an wohltönender Gefälligkeit; man kann da musikantisch eigentlich - außer man übertriebe "es" - sehr wenig oder überhaupt nix falsch machen; kurzum könnte sie schlicht und einfach, rein aufs Kulinarische bezogen, als ein primitiver Hochgenuss bezeichnet sein.

Der von Jeremy Bines besorgte als wie einstudierte Chor der DOB war unverhältnismäßig oft zu hören und zu sehen, und sein Sound war/ist anhaltend üppig, wohlwarm und gestochen scharf also präzisest in der insgesamten Artikulation; Respekt!

In den drei ideal besetzten Hauptrollen bestachen konkurrenzlos die Bassbaritone Alex Esposito (= Don Quichotte), Seth Carico (= Sancho Pansa) und die Mezzosopranistin Clémentine Margaine (= Dulcinée).

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Jetzt bereits - noch ehe die Saison mit einem konzertanten Hamlet von Ambroise Thomas geendet sein wird - muss der DOB bescheinigt werden, dass sie im Vergleich zu ihren beiden hauptstädtischen Konkurrentinnen (der Staatsoper Unter den Linden und der KOB) die beste der drei Spielzeiten gemeistert hat - nicht nur die von uns jeweils hochgelobten Inszenierungen Oceane, Der Zwerg, La Sonnambula, Les Contes d'Hoffmann sprechen eindeutig dafür.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 31.05.2019.]

DON QUICHOTTE (Deutsche Oper Berlin, 30.05.2019)
Musikalische Leitung: Emmanuel Villaume
Inszenierung: Jakop Ahlbom
Bühne: Katrin Bombe
Kostüme: Katrin Wolfermann
Licht: Ulrich Niepel
Chöre: Jeremy Bines
Dramaturgie: Dorothea Hartmann
Besetzung:
Don Quichotte ... Alex Esposito
Sancho Pansa ... Seth Carico
Dulcinée ... Clémentine Margaine
Pedro ... Alexandra Hutton
Garcias ... Cornelia Kim
Rodriguez ... James Kryshak
Juan ... Samuel Dale Johnson
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 30. Mai 2019.
Weitere Termine: 02., 07., 13., 18.06.2019

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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