EIN SOMMERNACHTSTRAUM durch Possible World

Performance Shakespeare in Gebärdensprache

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Man ahnt nichts Gutes, wie sie auftritt:

Anka Böttcher - die die Elfe Pucky resp. Puck, jenes im Auftrag Oberons umhervagabundierende und Liebesunheil anrichtende Mini-Monster aus Shakespeare´s Ein Sommernachtstraum "hintervötzig" mimt - klärt also schon mal und vorab den Frontverlauf; sie wirft das Stichwort"Friedhof"in die Luft, gestikuliert nach hie und da, als wenn sie irgendwelche Kräuter wohin streuen würde, und man fürchtet irgendwie, dass wohl gleich Untote aus ihren Gräbern steigen könnten, um den von ihr präparierten Handlungsort verhext-bezaubert zu bevölkern...

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"William Shakespeares Ein Sommernachtstraum ist ein über 400 Jahre altes Verwirrspiel der Menschen, ihrer Körper, ihrer Sprachen, Träume und Gefühle. In einem Palast und einem Wald zur Sommersonnenwende, wohin Liebende vor den Gesetzen der städtischen Gesellschaft flüchten, Feen und Menschen sich begegnen und das bis dahin überschaubare, wohlgeordnete Leben aus seiner Fassung gerät. Sprache verliert hier ihren Sinn, Körper prallen aufeinander. Traum wird zur Wirklichkeit und Wirklichkeit wird zum Traum. In einer Nacht voller Begierden und Liebe tobt sich das Innerste nach außen." (Quelle: ballhaus-ost.de)

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Dass Shakespeare-Spielen auch und (in der Tat!) besonders im Zusammenspiel Gehörloser, Schwerhöriger und Hörender zu funktionieren scheint also (tatsächlich!!) funktioniert, beweist eine sensationell beglückt habende und schier atemberaubende Aufführung durch Possible World - gestern anlässlich ihrer Wiederaufnahme im Ballhaus Ost [welches koproduzierte] live erlebt!!

Possible World entwickelt seit fast zehn Jahren "performative Formate und Arbeitstechniken. Wir arbeiten, proben und spielen in Deutscher Gebärdensprache und Lautsprache. Team und Ensemble sind gehörlos, schwerhörig und hörend." Im Repertoire befanden sich seither Frühling erwache! (2009/10), Me-Dea (F)! (2011/12), Wir (2012/13), Deaf Memory (2014) und Die Taube Zeitmaschine (2014-17).

Die aktuelle Produktion - Ein Sommernachtstraum - hat sicherlich, nach unserm seherischen Bauchgefühl, das Zeug zum absoluten Renner; schon im Herbst d.J. tourt die Truppe hiermit nach Essen (Grillo-Theater). Weitere Stationen - und von uns aus beispielsweise auch zum Internationalen Shakespeare-Festival Globe Neuss (!), sollten und müssten folgen!!

Also:

Nicht allein die faszinierend anzusehende (auch anzuhörende) Gebärdensprache einzelner Akteure dechiffriert das eigentlich doch unentwirrbare Geschehen dieser Shakespear'schen Komödie auf verblüffend kurzgefasste Weise. Insbesondere bekommt der Urtext mittels eines körperlichen Subtextes, bei dem v.a. choreografisches und akrobatisch anmutendes Zutun auf der Tagesordnung steht, so eine Art von Gleitcreme, die die mindestens drei Teilplots dieser sexualgeladenen Dreifachgeschichte rutschig vor oder zurück treibt; was für'n Hohefest schauspielernder Erotik!

Rechterseits [vom Publikum aus] werden Aktbezeichnungen und Szenenüberschriften inkl. ihrer hierin handelnden Personen projiziert; mitunter lässt sich auch der eine oder andre Blankvers einerseits auf Deutsch und andrerseits im Shakespear'schen Original nachlesen.

Die vollführten zweieinhalb und wie im Fluge sich zum Schluss hin wegverpulvisiert habenden Stunden bieten lediglich ein "ordnendes" Gerüst bzw. eine Auswahl aller Szenen aus dem fünfaktigen Stück - das Sommernachtstraum-Ganze ist (und das ist das Geniale an dem wohl auch dramaturgisch klug gebauten Streich) vorhanden und zu jeder Zeit erkennbar; alle Hauptfiguren sind in ausreichendem Maß präsent:

Eyk Kauly spielt sich katzenpfotig, kreischend als die Doppel-Diva (Theseus und Titania) in berechtigter Manier ganz in den Vordergrund. Gal Naor's Oberon knistert geradezu vor fies-erotischer Versuchung. Peter Marty gibt (als Elfe Primel, beispielsweise) seinem ausgebüxten Affen kräftig Zucker. Brian Duffy (als Demetrius) überzeugt als Liebesrasender und -leidender. Athina Lange´s lesbische Lysandra (statt Lysander) tut sich nach Emilia von Heiseler´s Hermia exzessiv verzehren; großartig, mit welchem inspirierenden Humor sie all das macht! Und Okan Seese wirft sein Ego überzeugend als wie nebengleisig in die Zettel´s-Traum-Schale. Auch Wille Felix oder Anne Zander, beide ebenfalls in Doppelrollen, müssen respektierliche Erwähnung finden.

Ein Ereignis!!!!!

Hab' noch immer Gänsehaut von alledem.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 30.06.2018.]

EIN SOMMERNACHTSTRAUM (Ballhaus Ost, 29.06.2018)
Konzept/Regie: Michaela Caspar
Choreographie: The progressive wave | Gal Naor & Matan Zamir Bharatanatyam-Choreographie: Rajyashree Ramesh
Komposition/Musik/Raum: Jan-Peter E.R. Sonntag
Kostüme: Gabriele Wischmann
Übertragung in Deutsche Gebärdensprache: Eyk Kauly u.a. mit dem Ensemble
Dramaturgische Beratung: Klaus Chatten, Detlef Schneider und Till Nikolaus von Heiseler
Visual Vernacular: Brian Duffy
Video: Jens Kupsch
Lichtdesign: Fabian Eichner
Regie- und Bühnenbildassistenz: Max Neu
Produktionsleitung: Daniel Schrader
Besetzung:
Titania, Theseus ... Eyk Kauly
Oberon ... Gal Naor
Puck (Elfe Pucky) ... Anka Böttcher
Hippolyta, Primel, Schnock ... Peter Marty
Demetrius, Squenz ... Brian Duffy
Egeus, Motte, Flaut ... Wille Felix Zante
Hermia ... Emilia von Heiseler
Lysander (Lysandra), Bohnenblüte ... Athina Lange
Helena, Senfsamen ... Anne Zander
Zettel ... Okan Seese
Premiere war am 16. März 2018.
Weitere Termine: 30.06. + 01.07. (im Ballhaus Ost) / 30.09.2018 (im Grillo-Theater, Essen)
Eine Produktion von Possible World e.V. in Kooperation mit dem Ballhaus Ost

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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