EINSAME MENSCHEN am Theater im Bauturm, Köln

Glosse Gerhart Hauptmanns altmodisches Stück vermag den Heutigen wahrscheinlich nicht mehr allzu viel zu sagen

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"1890 in einem Landhaus am Müggelsee: der junge Gelehrte Johannes Vockerat und seine Frau Käthe haben gerade ihr erstes Kind bekommen. Doch das Familienidyll bröckelt bereits. Johannes kommt mit seinem philosophischen Welterklärungsbuch nicht weiter und findet in seiner von den Aufgaben der jungen Mutterschaft überforderten Frau Käthe kein belastbares Gegenüber. Auch sein einziger Freund Braun, ein nicht wirklich erfolgreicher Maler, entzieht sich seinen Forderungen nach Auseinandersetzung und hinterfragt sowohl die eigene Bohemien-Existenz als auch das Philosophendasein Johannes als Luxusleben. So ist ein jeder mit seinen ungelösten Fragen und unbefriedigten Bedürfnissen alleine und zunehmend unglücklich, als überraschend eine Fremde ins Haus schneit und bleibt: Anna Mahr, eine Radikalindividualistin, gebildet, emanzipiert und frei in Geist und Körper..."
(Quelle: theater-im-bauturm.de)

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Gerhart Hauptmanns Bruder Carl wäre mit einem ähnlichen Konflikt-Problem wie jenem aus dem Stück Einsame Menschen, das der Dichter 1891 in Berlin zur Uraufführung brachte, beschlagen gewesen: Kommt so eine neunmalkluge Wanderin deswegs und mischt die glückliche Familie (Vater, Mutter, Kind, will sagen: Künstler, Hausfrau, Nachkomme) so mirnichtsdirnichts auf und denkt dann noch, das wäre irgendwie "normal" und bliebe daher ohne jede Folgen fürs bisherige Familienglück... Carl hatte sich zwar nicht gleich umgebracht, aber womöglich stand er damals kurz davor - man müsste das nochmal, so rein aus Neugier, gründlich recherchieren.

Jedenfalls tat Dichter Hauptmann auch dann noch das Äußerst-Innerliche (Physis, Psyche) seiner leibhaftigen Gattin in die Mutter-Hausfrauenfigur der Käthe Vockerat umwidmen, was letzthin bedeuten sollte, dass der Vater-Künstler immer dann bzw. meistens dieses grauenhafte Grundproblem sein eigen nennen muss, dass nämlich jeder Vater-Künstler keinen "idealen Ansprechpartner" in der innerfamiliären Mutter-Hausfrauenfigur besitzt und also prinzipiell dann offen für so geistig-intellektuelle Frischluftzufuhren von außen wäre/ist; so war das halt dann früher um das 19. Jahrhundert rum.

Heute kann man sich derartige Unvereinbarkeiten kaum mehr vorstellen - entweder du findest (als Vater-Künstler) deinen adäquaten menschlichen UND intellektuellen, künstlerischen Gegenpart (= die Supermutter-Antihausfrau, idealer Weise), oder du lebst und arbeitest mit deinem Kind-Nachkomme solo resp. solo-duo, oder - drittmögliche Variante - du bleibst halt (als Vater-Künstler) letzten Endes mutterseel'n allein also, im schlimmsten Falle, ohne Kind-Nachkomme oder so.

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Die Regisseurin Catharina Fillers hat mit ihrer Ausstatterin Fatima Sonntag dieses wahrlich altmodische Stück ganz gut ins Heute rüberretten können - und ein Meer von durchsichtigen Seidenstoffgardinen soll womöglich dann diese myhomeismycastlehafte Pseudolandschaft transparenter (als sie wirklich ist) erscheinen lassen. Das Gewächshaus "nebenan" - so eine Art von illusionswändigem Bootsschuppen - bietet den vier Akteuren (Sascha Tschorn, Nika Wanderer, Klaus Ebert und Emilia Haag) dürftigen Unterstand auf allerengstem Raum.

Schon gut gespielt

Und einsam sind wir sowieso Alle - egal ob mit oder ob ohne großartige Flausen.


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Einsame Menschen am Theater im Bauturm - Foto (C) MEYER ORIGINALS, www.meyeroriginals.com

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 03.03.2015 auf KULTURA-EXTRA

EINSAME MENSCHEN (Theater im Bauturm, 28.02.2015)
Inszenierung: Catharina Fillers
Ausstattung: Fatima Sonntag
Regieassistenz: Carina Eberle
Dramaturgie: Kerstin Ortmeier
Komposition: Öğünç Kardelen
Mit: Klaus Ebert, Emilia Haag, Sascha Tschorn und Nika Wanderer
Premiere war am 21. Februar 2015
Weitere Termine: 12. - 14. + 25. - 28. 3. / 20. - 22. 4. / 6. - 9. 5. 2015

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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