FRANCESCA DA RIMINI von Riccardo Zandonai

Live-Stream Christof Loy inszenierte wieder eine Rarität an der DOB Berlin

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Christof Loy hat meistenfalls ein gutes Händchen, wenn er Opern inszeniert, ja und so manche außerordentliche Rarität wurde - dank seines trüffelschwein'schen Forschersinns - aus ihrer bisherigen Untertageexistenz befreit, zuletzt gelang ihm das mit Korngolds selten je zuvor gespieltem Wunder der Heliane; aber auch an Loys Regien solcher Opernbestseller wie Jenufa (DOB 2012) oder Daphne (Hamburg, 2017) tu ich mich in dem Moment spontan zurückerinnern.

Jetzt empfahlen er und Pultstar Carlo Rizzi ihren (derzeitigen) "Livestream-Abonnenten" Francesca da Rimini- aber nicht etwa die bekanntere Sergej Rachmaninows, sondern die weitaus unbekanntere von Zandonai - doch, bitteschön, wer ist der Mann?

Riccardo Zandonai (1883-1944)"war Schüler Mascagnis und galt um 1910 als neuer Stern am italienischen Opernhimmel. Sein Verleger Tito Ricordi plante mit ihm eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie eine Generation früher sein Vater Giulio Ricordi mit dem jungen Puccini. Dafür scheute Ricordi keine Kosten und Mühen und erwarb für die neue Oper Zandonais die exorbitant teuren Rechte an einem der Skandalstücke der Zeit: Gabriele D’Annunzios fünfaktiges Drama Francesca da Rimini, uraufgeführt 1901 in Rom mit Eleonora Duse in der Titelrolle. Gabriele D’Annunzio hatte mit Francesca da Rimini auf einen Stoff aus DantesGöttlicher Komödiezurückgegriffen, der im 19. Jahrhundert zum Lieblingsthema der Romantik gehörte. Grausame Leidenschaften, blutige Szenen in Bürgerkriegszeiten, ein in flagranti erwischtes, ehebrecherisches Paar und seine todessehnsüchtige Liebe, schließlich finaler Doppelmord aus Eifersucht: Publikum und Presse waren gespalten, für die Künstler der Zeit wurde D’Annunzios 'Poem aus Blut und Wollust' jedoch mit seiner Ästhetik des Fin de Siècle zur Attraktion.
Der 31-jährige Riccardo Zandonai sah in dem Drama nun die Chance zu einer großdimensionierten Oper, für grelle Farbwechsel und eine musikalische Sprache, die unterschiedlichste Stile und Zeiten amalgamiert: Zwischen Reminiszenzen an die Madrigale der Renaissance, der Härte des Verismo, Wagners Tristan und Isolde als Vorbild und dem französischem Impressionismus eines Debussy findet Zandonai einen ganz eigenen Weg eines europäischen Musiktheaters." (Quelle: deutscheoperberlin.de)

Der Plot geht einfach: Frau erwehrt sich sexuellen Übergriffen von drei Brüdern, wobei sie auf einen der drei Brüder mehr denn als auf die zwei andern steht.

Eingebetteter Medieninhalt

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Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin befinden sich im Großeinsatz; alle Choristinnen sowie Choristen sind (wegen Corona) aus dem Probesaal akustisch zugeschaltet, ihre "Schlachtszenen", als Beispiel nur, werden alternativ von einer Schauspieltruppe szenisch nachgemimt.

Das Bühnenbild Johannes Leiackers zeigt einen großen Einheitswohnraum mit Rosentapete, der durch eine einzige Tapetentür rechts abseits zu betreten ist, in seiner Mitte gibt es einen respektablen Bühnenausschnitt, der zu einer Art von Wintergarten auf der Hinterbühne führt, welche dann wiederum durch eine großformatige Kopie eines Gemäldes von Lorrain als abschließendem Hintergrund besticht.

Außer der emotional stark aufwühlenden Vierer-Kiste (1 Frau, 3 Brüder) gibt es Nebensächlichkeiten-Szenen: Spielmann mit Mädchen, Frühlingserwachen und/ oder Modistinnen kleiden Francesca an und aus.

Sara Jakubiak brilliert als männerfressende Francesca, ihre beiden schönen großen Liebesszenen mit Jonathan Tetelman (= Paolo) sind schon hörens- und vor allem sehenswert.

Nicht minder hörens- und vor allem sehenswert sind Ivan Inverardi (= Gianciotto) und Charles Workman (= Malatestino), besonders wie der einäugige junge Bruder seinem angeblich viel hässlicheren alten Bruder die verräterische Nachricht übermittelt, dass Gianciottos angeheiratete Frau Francesca mit dem jüngsten und zugleich natürlich schönsten aller Brüder eine Sexaffäre hätte - schlussendlich metzelt der Gatte seine Gattin inkl. Bruder/ Gattinnenverführer mit 'nem Messer nieder...

Großartiges Opernbreitwandkino.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA v. 14.03.2021.]

FRANCESCA DA RIMINI (Deutsche Oper Berlin, 14.03.2021)
Musikalische Leitung: Carlo Rizzi
Inszenierung: Christof Loy
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Klaus Bruns
Licht: Olaf Winter
Chöre: Jeremy Bines
Dramaturgie: Dorothea Hartmann
Besetzung:
Francesca ... Sara Jakubiak
Samaritana ... Alexandra Hutton
Ostasio ... Samuel Dale Johnson
Giovanni lo Sciancato, genannt Gianciotto ... Ivan Inverardi
Paolo il Bello ... Jonathan Tetelman
Malatestino dall’Occhio ... Charles Workman
Biancofiore ... Meechot Marrero
Garsenda ... Mané Galoyan
Altichiara ... Arianna Manganello
Adonella ... Karis Tucker
Smaragdi ... Amira Elmadfa
Ser Toldo Berardengo ... Andrew Dickinson
Il Giullare ... Dean Murphy
Il Balestriere ... Patrick Cook
Il Torrigiano ... Thomas Lehman
Jan Gerrit Brüggemann, Farouk El-Khalili, Hanno Jusek, Marcus Mundus, Andrea Spartà, Koray Tuna, Benjamin Werth, Nicolas Franciscus, Franz Gnauck, Kay Bretschneider, Paul Krügener, Lukas Lehner, Maximilian Reisinger und Pablo Nina Toculescu (Schauspielerinnen und Schauspieler)
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Online-Premiere war am 14. März 2021.
Premiere (mit Publikum): 4. April 2021 - im Rahmen des Berliner Pilotprojekt Testing
Live-Stream auf takt1.de v. 14.03.2021

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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