FRÜHSOMMERLICHER DERPRESSIONSZUSAMMENHANG

Open Air Die Volksbühne Berlin ließ endlich wieder (an der frischen Luft) ihr Publikum zu sich

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Auch der Volksbühne Berlin war wegen des behördlich verfügten Lockdowns - seit dem Ausbruch der Coronapandemie (auch in der Hauptstadt) - vor dem Publikum zu spielen untersagt; selbst Weiterproben war zunächst nicht drin.

Jetzt tut sich nach und nach dann alles wieder irgendwie normalisieren - doch was heißt "normal" in diesen irren Covid-19-Zeiten? Nichts!

Faktisch bleibt erst mal festzustellen, dass es in Berlin, und somit in der Volksbühne, ab kommender Saison wieder Theater live und (wichtiger noch:) in den jeweiligen Häusern geben wird; jedes Theater hätte oder hat hierzu ein eigenes und seinen jeweiligen Haus-Besonderheiten angepasstes Abstands- und Hygienekonzept ausgearbeitet.

Na dann mal los:

Am 27. August wird Der Kaiser von Kalifornien (der im März gezeigt sein sollte) nachgeholt. Danach startet die Spielzeit offiziell mit Iphigenie. TRAURIG UND GEIL IM TAURERLAND, und sowieso werden dann alle weiteren Projekte bis zum Spielzeitschluss unter dem sammlungsthematischen Deckmantel von "POLIS / RESET" stehen - falls bis da nicht wieder irgend etwas virologisch Unvorhersehbares alles außer Kraft setzte.

Im Großen Haus stehen 130 Plätze (pro Performance) zur Verfügung, mehr ist derzeit nicht erlaubt.

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Ja und bevor es in die Ferien ging, stemmte die Volksbühne jetzt noch ein flottes Open Air in ihrem Hof des Roten Salons [Roter & Grüner Salon werden übrigens dann ab der nächsten Spielzeit erst mal nicht wieder bespielt.] und nannte er frühsommerlicher Depressionszusammenhang (Eine Peepshow).

"Der Voyeur ist von üblem Beigeschmack behaftet. Der Grenzgänger will sich Zugang zu Fremdem, Intimem verschaffen, daran teilhaben und unerkannt bleiben. Auf den, der sich im Verborgenen seiner Schaulust hingibt, schaut man herab. Wer als solcher ertappt wird, erfährt gesellschaftliche Ächtung.
Doch ACHTUNG:
Statt Kontaktbeschränkung endlich in Blickkontakt treten, mal wieder ungestört und aus sicherer Entfernung, versteht sich, ein Auge auf jemanden werfen oder haben. Die Fenster zum Hof stehen weit offen und liefern unverhoffte Einsichten, teils verstiegene wie verstörende Ansichten. Erdgeschoss und 1. Stock in direkter Nachbarschaft und doch birgt jede Wohnzelle, von der Abendsonne ausgeleuchtet, bei genauer Betrachtung ein Bild der Vereinzelung.
Wer beäugt hier wen? Wer entzieht sich und bleibt im Innern zurück? Die Fassade bietet auch die Chance zur Selbstinszenierung, denn man lebte lange unter Verschluss – Zeit, um Luft zu holen und...
Auf Grundlage des Textes
In your face, frühsommerlichneonationalistischer Depressionszusammenhang! von Gerhild Steinbuch und Thomas Köck, durchsetzt von soziologischen Betrachtungen und urbanen Narrativen, individuellen stummen Bildern, Soundflächen und Choreografie-Parts, formiert sich sukzessive der Chor und erhebt seine Stimme an diesem Sommerabend, der Theater im Freien möglich macht." (Quelle: volksbuehne.berlin)

Somit wäre das mit dem konfusen Titel [s.o.] auch soweit geklärt.

Eingebetteter Medieninhalt

Johanna Bantzer, Sarah Franke, Katja Gaudard, Jella Haase, Amal Keller, Paula Kober, Robert Kuchenbuch, Vanessa Loibl, Emma Rönnebeck, Teresa Schergaut und Sylvana Seddig waren der besagte Chor auf dem Gerüstbalkon - und Sir Henry saß vor einem Glitzervorhang rechts am Synthesizer und spielte und sang von dort aus; ihn (Sir Henry) kannte ich zwar noch von früher (Castorf-Ära) her, doch alle anderen kannte und kenne ich bis dato nicht, weshalb ich auch jetzt keine(n) von den Mitwirkenden zu den Texten, die sie abzusondern hatten, "zuzuordnen" in der Lage war und bin.

Das immerlustige Einzel- und Gruppengeplapper hatte was von Buchstabensuppe oder Scrabbeln mit Soße.

Am besten noch dieser Prolog-Ausraster, wo dann die Performerin sich über all die derzeit üblichen Abstands- und Hygieneregeln - jede(r) fügt denselbigen meist noch ein individuelles i-Tüpfelchen zu - voller Emphase ausließ.

Danach inflationierte es heterogen.

Hundkater mit grillglutverbranntem Schwanz, Geranienkasten hinter Stacheldraht wegen herumscheißenden Katzen, eine CD mit dich umschlingenden Liedern, schwarzäugige Susannen, Liebe & Faschismus usf.

Das Schöne des Events war, dass man die Theaterleute live aus Fleisch und Blut so vor sich hatte. Endlich wieder!!

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 25.06.2020.]

FRÜHSOMMERLICHER DEPRESSIONSZUSAMMENHANG (Hof Roter Salon, 24.06.2020)
Eine Peepshow

Konzept und künstlerische Realisierung: Lucia Bihler, Johanna Bantzer, Sarah Franke und Emma Rönnebeck
Dramaturgie: Degna Martens
Ausstattung: Ann-Christin Müller und Mayan Tuulia Frank
Kostüme: Eleonore Carrière und Nina Lopac
Produktionsleitung: Rolf Krieg
Regieassistenz: Constanze Schüddekopf
Mit: Johanna Bantzer, Sarah Franke, Katja Gaudard, Jella Haase, Amal Keller, Paula Kober, Robert Kuchenbuch, Vanessa Loibl, Emma Rönnebeck, Teresa Schergaut, Sylvana Seddig und Sir Henry
Premiere an der Volksbühne Berlin: 24. Juni 2020
Weitere Termine: 25., 26.06.2020

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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