IGOR LEVIT beim DSO Berlin

Konzertkritik Was unterscheidet einen kommunikativen von einem nicht so kommunikativen Pianisten? Die Antwort gab ein gestriges Event beim Deutschen Symphonie Orchester Berlin

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Es gibt kommunikative und nicht kommunikative Pianisten - meistens kriegt man es dann mit den nicht so kommunikativen Spielern am Klavier zu tun; das Faszinierende und also uns mitunter gar Begeisternde ihrer Präsenz (ja und wir reden hier von Live-Eindrücken, also wenn die Stars im Saale und an ihrem Arbeitsgegenstand live-haft zu sehen sind) erschließt sich, so gesehen, einzig und allein durch unsre "Übersetzung" des Symbiotischen: Klang-Spieler-Klangspiel-Spielklang. Und das kann dann auch während des Live-Erlebnisses mit zuen Augen sozusagen von uns Rezipienten hochgeschlossen werden, denn zu sehen gibt es ja bei diesen nicht so kommunikativen Spielern am Klavier so gut wie nichts; sie scheinen halt während der Arbeit oft der Welt entrückt und haben scheinbar mehr mit sich als allen Anderen um sie herum zu tun. Zumeist geschieht das Alles dann im Sinne der Musik, d.h. wir könnten und wir wollten letztlich überhaupt nicht weiter klagen...

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Krasses Gegenstück zu den In-sich-Gekehrten und stark von der Umwelt Abgehobenen wären und sind die kommunikativen Pianisten - die, die mit uns Zuhörenden und (noch mehr) Zusehenden einen Direktkontakt herstellten resp. herzustellen willens sind. Sie gucken - außer dass sie auf die weißen und die schwarzen Tasten des Klaviers so eine Art verselbständigenden Kontrollblick haben - ab und an auch in den Saal, also zu uns! Und derart kann es (augenblicklich) tatsächlich geschehen, dass der eine oder andere Betroffene einen ihn emotional stark aufwühlenden Einzel- oder Sonderblick, ganz exklusive sozusagen, von dem Star erhascht: "Er hat mir grade ganz tief in die Augen kurz geblickt, ja ja, ganz kurz zwar nur, aber er hat, ja ja ja ja, und wie!!" So etwas nennt man einen Glücksmoment.

Igor Levit - nicht erst seit Kurzem einer der weltweit umgarntesten, umworbensten Klavierspieler - hat diese sondergleiche kommunikative Gabe [s.o.]. Und er spielte gestern Abend mit dem Deutschen Symphonie Orchester (dirigiert von Manfred Honeck) einen Beethoven, konkret das dritte der fünf Beethoven-Klavierkonzerte, dass man sich während der Darbietung und hinterher verblüffter Weise fragte: "Was war das jetzt? Beethoven??"

Levit agierte undogmatisch, seine Auffassungen (welche und zu was dann eigentlich?) war'n völlig frei von jedweder "Bevormundung", und sei es derjenigen des hierfür vielleicht verantwortlichen Noten-Textes; dass das Honeck mit dem DSO so derart einfältig und selbstverständlich mittrug = Kompliment an sich!!

Ich kann mich nicht entsinnen, einer diesbezüglich außerhalb von jeder "Norm" und gleichsam zwingend schönen Darreichung des Werkes je gefolgt gewesen zu sein! Ja und in live dann sowieso nicht!!

Atemberaubend, suggestiv bis zum Extrem.

* * *

Zuvor gab es ein ganz und gar von Tod & Nichtmehrdasein kitschentschlacktes Adagio for Strings von Samuel Barber zu vernehmen - nein, so will ich's nie, nie wieder hören.

Und bei dem Straussischen Ein Heldenleben [einem der in letzter Zeit am häufigsten heruntergenudelten Werke in der Philharmonie Berlin] fiel mir - zum ersten Male überhaupt bei diesem nervtötenden Opus - jenes wunderhübsche Geigen-Riesensolo auf, dass der Konzertmeister Wei Lu berückend und betörend aus der kindisch-unverschämten Partitur herauszuschälen in der Lage war.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 25.02.2017.]

DEUTSCHES SYMPHONIE ORCHESTER (Philharmonie Berlin, 24.02.2017)
Samuel Barber: Adagio für Streichorchester
Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll
Richard Strauss: Ein Heldenleben
Igor Levit, Klavier
Deutsches Symphonie Orchester Berin
Dirigent: Manfred Honeck

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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