Igor Levit beim Musikfest Berlin 2020

Konzertkritik 4 von 32 Klaviersonaten Beethovens an einem von 8 Abenden

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Igor Levit gilt derzeit als DER ultimative Klavierstar auf dem Globus, und das liegt wohlweislich "nicht nur" an der pianistischen Perfektion sprich seinem handwerklichen Können und (mitunter auch) an seiner geistigen Durchdringung dessen, was er uns so alles vorspielt, und egal ob wir das live oder medial erlebten - ganz besonders war/ ist er dann in den abstinenten letzten Monaten, als wegen der Coronapandemie Kunst & Kultur weltweit verstummen sollten, auf dem @igorpianist-Profil bei Twitter in Aktion getreten, wo er bis vor Kurzem tagtäglich ein Hauskonzert in seiner Wohnung für die fast 100.000 Follower zählende Fan-Gemeinde aussandte; sogar der Bundespräsident ließ sich von dieser beispiellos-spontanen Eigeninitiative derart mitreißen, dass er ihn ins Schloss Bellevue einlud, damit der Eingeladene von dort aus twitterte... Und so erfuhren wir, fast nebenbei, dass Beethovens Waldsteinsonate mit zu seinen Lieblingsstücken zählen würde oder so...

Nunmehr scheint sich das allgemein zu praktizierende Theater- und Konzertleben, obgleich von Staat zu Staat oder von Bundesland zu Bundesland verschieden, mit dieser vielleicht noch Jahre anhaltenden Drangsal um Corona "arrangiert" zu haben; und das Eine oder Andere wird peu à peu nun wieder möglich. Daher konnte/ kann der Weltstar auch jetzt sämtliche Klaviersonaten Beethovens vor einem (zugegeben: etwas reduzierten) Publikum darbieten: erst in Salzburg zu den Festspielen, dann in Berlin - wir sahen und wir hörten uns das gestern Abend anlässlich des ersten seiner acht Philharmonie-Konzerte an:

Eingebetteter Medieninhalt

"Igor Levits Geschichte mit Beethoven begann vor 18 Jahren. Damals hörte der 14-Jährige dieMissa solemnisund war überwältigt. Kurz darauf studierte er eine der ersten Beethoven-Sonaten, sie begleitete ihn über mehrere Jahre. 2010 nahm er sich vor, alle Klaviersonaten aufzuführen und einzuspielen – er hatte bereits durch eine sensationelle Interpretation der Diabelli-Variationen von sich reden gemacht. 2019 vollendete er die Gesamteinspielung der Sonaten. 2020 stellt er die 32 Werke in der Berliner Philharmonie im Rahmen des Musikfest Berlin vor. [...] Levit spielt sie nicht in der Chronologie ihrer Entstehung, sondern stellt Werke unterschiedlichen Typus aus verschiedenen Schaffensepochen einander gegenüber, lässt dabei Werkpaare, die kontrastvoll aufeinander bezogen sind, beisammen. Dialoge sollen entstehen, kein Katalog. Sie verlangen eine gemeinsame Basis, aber vor allem prägnante Differenzen. So schärft sich die Klarheit der Konturen und mit ihnen die Beredtheit von Beethovens Musik." (Quelle: Musikfest Berlin)

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Der Abend war kurzweilig, machte nachdenklich und ging irgendwie unter die Haut:

Levits Anschlag hat eine Verspieltheit, die fast kongenial zu seiner jungenhaften Physis passt. Er tut Akkorde (oftmals Schlussakkorde) in einem Egal-Duktus dahertupfen, was einem, kurz nachdem's geschieht, die Sprache raubt. Diese fast infantile Art von Nebenbei und Nebenher verübt er mit System, trennt sodurch eins vom anderen, pausiert dazwischen ellenlang... "seine" Sonaten fallen quasi auseinander.

Bei der von ihm pastoralisierten Nummer 12 entsteht beim Hören eine Bildgeschichte, die an schönes Wetter und an Wandern und an einen Wanderer gemahnt, man glaubt den Ohren nicht zu trauen - ist das Schubert oder wirklich Beethoven?

Und schließlich Levits Waldstein-Favorit! Der erste Satz extrem rasant und übervirtuos, der zweite extrem kopfig, megalangsam und wie'n niedrighohes Wasserspiel zu einem Strudel mit wachsendem Straucheln (= Rondo) übergehend; hochgrandios, wie er das denkt und macht!!

Sehr, sehr, sehr kapriziös und völlig ungelogen!!!

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Ein gefühlsträchtiges Nachtstück von Fred Hersch, welches der Komponist dem Pianisten während der Corona-Zwangspause im Frühjahr schrieb, diente als Zugabe.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 26.08.2020.]

MUSIKFEST BERLIN (Philharmonie Berlin, 25.08.2020)
Ludwig van Beethoven: Sonate Nr. 1 f-Moll op. 2,1
- Sonate Nr. 12 As-Dur op. 26
- Sonate Nr. 25 G-Dur op. 79
- Sonate Nr. 21 C-Dur op. 53 Waldstein
Igor Levit Klavier

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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