IL TROVATORE an der Oper Köln

Premierenkritik Regisseur Dmitri Tcherniakov verordnet dem Personal aus der Verdi-Oper eine (völlig sinnlose) Gruppentherapie

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Verdächtig scheint es schon, wenn sich kurz vor Beginn einer Premiere IntendantInnen namhafter Opernhäuser vor ihr Publikum begeben, um ihm justament ihr Glück und ihre Freude kund zu tun, dass es sogleich die neue Lesart eines justament von ihnen glück- und freudvoll engagierten "Starregisseurs" zu sehen kriegen würde; und nicht nur verdächtig, nein, auch peinlich scheinen derartige Vorschusslorbeeren zu sein, selbst wenn sie sich in einer derart ausgelutschten, abgedroschenen und letzten Endes nichts aussagenden Vokabel mitteilten.

Dmitri Tcherniakov debütierte also mit Il trovatore von Verdi an der Oper Köln.

Der Mann ist auf den A- oder 1A-Bühnen der elitären Opernwelt schier unabkömmlich. Seine Inszenierungen waren und sind, das muss betont werden, handwerklich grundsolide; überwiegend machte/macht er nicht "nur" die Regien, sondern steuert auch (zumeist und immer mehr) sämtliche Ausstattungen, also Bühnenbilder & Kostüme, bei. Derart geraten seine Produktionen zu Gesamtkunstwerken, und sie sehen meistens dann auch gut und sehr gediegen aus. Falls ich mich nicht sehr täuschen sollte, war es seiner Zeit wohl Daniel Barenboim, der ihn für die Bedürfnisse westeuropäischen Musik-Regietheaters erstmals überhaupt - und seither immer öfter - an die Staatsoper Unter den Linden stellvertretend "band"; hier inszenierte der gefragte Russe beispielsweise Boris Godunow oder Die Zarenbraut, doch auch an Parsifal und Tristan und Isolde tat er sich, zunehmend launischer und kapriziöser bei der Ausgestaltung seiner "Sicht der Dinge" werdend, ausprobieren. Sein genialster Streich bis da: Chowanschtschina in München, besser ging es nicht - dagegen tat ich einen meiner bisher langweiligsten Opernabenden bei der Prokofjew'schen Verlobung im Kloster an der Lindenoper durchstehen.

Kurzum: Tcherniakov wurde/wird wahrscheinlich völlig überschätzt.

Ja und als wolte er seiner Regie-Pleite bei Obigem [Verlobung] zementierend noch eins drauf geben, griff er jetzt auch in Köln auf sein nicht unbedingt dann idealisch funktioniert habendes Gruppentherapie-Konzept zurück...

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Die zur Dame von Welt mutierte Zigeunerin Azucena (Marina Prudenskaya) versammelt die HauptprotagonistInnen des Troubadour-Personals im Salon ihrer spießigen Stadtwohnung, wo sie paar Dinge "von früher" zu klären oder aufzuklären sich bemüßigt fühlt. Hierzu verteilt sie Textbücher und lässt - mit dem Beginn der ab Takt eins original-akustisch zu vernehmenden Oper von Verdi - ihre Gäste ihre jeweiligen Rollen 1:1 oder als NebenrollenträgerInnen (Ines, Ruiz, alter Zigeuner, Bote) sozusagen nachsingen. Und wir erleben also rein akustisch das zu klingende Original, während zugleich und bis zum Schluss im Einheitsbühnenbild der Gruppentherapieversuch Tcherniakovs irgendwie nach einer geistigen Vollendung giert; und irgendwie strampeln sich alle in dem Sinne furchtbar unbeholfen ab, aber selbstredend ganz vergeblich. Nein, es will und will partout nicht klappen, weil das Unterfangen letztlich völlig sinnlos ist!

Ein Lichtblick oder Ausweg nach der Pause? (Hoffentlich??)

Denn der zum Supermacho aufgemotzte Conte di Luna (Scott Hendricks) hat die Versammlung plötzlich in seine Gewalt gebracht, sie als Gruppen-Geisel genommen. Und nachdem die völlig wirre und auch sinnlose Geschichte der zwei Librettisten Cammarano & Bardare durch das Hin- und Hergesinge in der ursprünglich als Gruppentherapie gedachten Sitzung leidlich und doch völlig unverständlich aufgedröselt, aufgelöst wurde, fuchtelte/fuchtelt Macho-Luna mit 'ner Knarre unaufhörlich rum und mäht bis zum Finale alles soweit nieder; und das Alles sieht dann aber immer noch sehr spießig und gemütlich aus, d.h. ein echtes schönes Opern-Blutbad findet hier rein äußerlich nicht statt, aber womöglich kannte Tcherniakov Funny Games von Haneke bis zu der Tatzeit nicht/noch nicht...

Was für ein hirnrissiger Krampf!!! Ab in die Mülltonne.

Und musikalisch?

Akzeptabel, von den SängerInnen her.

Meine zwei absoluten Lieblingsstars des Abends waren allerdings das Gürzenich-Orchester und der Chor der Oper Köln - jeweils und insgesamt vom Routinier Will Humburg, quasi aus dem dunklen linken Abseits [Staatenhaus], aufs Allerwonnigste zum Klingen gebracht.

Mit andern Worten ausgedrückt:

Als konzertante Aufführung hätte "es" vollkommen gereicht.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 03.03.2020.]

IL TROVATORE (Oper Köln, 01.03.2020)
Musikalische Leitung: Will Humburg
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Dmitri Tcherniakov
Licht: Gleb Filshtinsky
Chorleitung: Rustam Samedov
Besetzung:
Il Conte di Luna ... Scott Hendricks
Leonora ... Aurelia Florian
Azucena ... Maria Prudenskaya
Manrico ... Arnold Rutkowski und [nach der Pause] George Oniani [Gesang]
Ferrando ... Giovanni Furlanetto
Chor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Premiere war am 1. März 2020.
Weitere Termine: 04., 07., 12., 14., 18., 21., 25., 29.03.2020

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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