JACKE WIE HOSE von Manfred Karge

Premierenkritik Der berühmte 81jährige inszenierte sein berühmtes Stück im Berliner Kleinen Theater am Südwestkorso

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Der in Brandenburg an der Havel geborene Schauspieler, Regisseur und Stückeschreiber Manfred Karge (81) ist eine deutsche Theater-Institution!

Helene Weigel holte ihn, quasi von der Schauspielschule weg, ans Berliner Ensemble. Dort "etablierte" er bald mit seinem damaligen Weggefährten Matthias Langhoff das über drei Jahrzehnte lang erfolgreich agiert habende Regie-Duo Karge/Langhoff, das bereits mit Sieben gegen Theben, wo es sich auch mit dem Prager Frühling 1968 auseinandersetzte, politisch anzuecken begann. Das Systemkritische seiner Inszenierungen ließ sich noch ein Weile an der Ostberliner Volksbühne Benno Bessons so fortführen - bis Karge/Langhoff von 1978 bis 1980 mehr und mehr in der alten Bundesrepublik (v.a. am Schauspielhaus Bochum, wo auch schon Thomas Brasch und Heiner Müller zu dergleichen Zeit Betätigungen fanden) inszenieren "durften", kurz bevor sich ihre künstlerischen Wege trennten. Karge ging dann 1986 mit Claus Peymann (der vor seiner Burgtheater-Intendantenschaft dieselbe Position in Bochum inne hatte) nach Wien. 1993 kam er nach Berlin, 2000 ans BE zurück. 2017 inszenierte er dortselbst zum letzten Mal und brachte Volker Brauns Die Griechen zur Uraufführung.

Seitdem arbeitet er freischaffend und schreibt wieder verstärkt.

Sein Ein-Personen-Stück Jacke wie Hose (uraufgeführt am Schauspielhaus Bochum, 1982) wurde in zig Sprachen übersetzt und auf der ganzen Welt gespielt, es gibt sogar eine Verfilmung mit dem Weltstar Tilda Swinton (Man to Man, Regie: John Maybury, 1992).

"Aus klassischen Komödien, wie bei Shakespeare, kennt man das Motiv der 'Hosenrolle'. Die Verliebte schlüpft in diese Figur, um dem Geliebten nahe zu sein. InJacke wie Hosegeschieht dies nicht aus erotischen, sondern aus sozialen Gründen. Um den Arbeitsplatz ihres verstorbenen Ehemanns für sich zu retten, beschließt die junge Witwe, die Identität des Toten anzunehmen. Zunächst als Überwindung momentaner Probleme in der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise gedacht, findet Ella Gericke immer wieder 'gute Gründe', als Mann durchs Leben zu gehen. Dies gelingt ihr mit viel Wagemut, Rafffinesse und Witz, wenn sie dies auch, wie sie immer wieder schmerzvoll erfährt, mit dem Verlust ihrer eigenen weiblichen Identität erkaufen muss." (Quelle: kleines-theater.de)

"Manfred Karge lässt eine Frau aus der Gegenwart heraus erzählen. Wie sie ihren an Krebs früh verstorbenen Mann begraben ließ, wie sie seine Arbeit und Identität übernahm, um den Arbeitsplatz des Mannes nicht zu verlieren, sich im Dritten Reich, im Krieg und in den Wirren danach durchschlug: einmal als Mann, einmal als Frau - diesen mühsamen, gefahrvollen Weg verfolgt das Stück in sechsundzwanzig knappen Szenen." (Quelle: henschel-schauspiel.de)

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Gestern und heute lief und läuft das Stück, von Karge höchstpersönlich inszeniert, im Kleinen Theater am Südwestkorso...

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Die Schauspielerin Eva Brunner und der (ebenso ein bisschen schauspielernde) Cellist Bo Wiget nahmen sich der tolldreisten Geschichte an.

Beide Akteure verübten ihre textlichen wie musikalischen Deklamationen, er sitzend und sie stehend, hinter Notenpulten, d.h. sie lasen und spielten vom Blatt. Brunner fiel durch eine sehr clownesk-markante Zottelkperücke, eine große rote Fliege und ein rotes (Männer-)Sakko auf, zudem hatte sie ihre Lippen dunkelblau geschminkt. Wiget wirkte dann ausgleichend-zurückhaltender und obwohl er auch eine (ein bisschen unauffälligere) Fliege umgebunden hatte und mit altmodischen Hosenträgern überm Weißhemd angezogen war; er konnte - außer sehr gut Cello spielen - auch gut pfeifen, aber das nur nebenbei bemerkt.

Der Stücktext resp. seine Handlung springt von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt - was ich so hören konnte und woran ich mich im Nachhinein erinnerte, waren (also der Reihe nach) Erlebnisse während der Schlussphase der Weimarer Republik, des martialischen Vordrängens des Nationalsozialismus (Kneipenschlachten zwischen Kommunisten und SA), der Hochblüte der Hitlerdiktatur vorm Zweiten Weltkrieg (KdF-Urlaub in norwegischen Fjords), der Kriegsära (Hetzjagd auf "illegale" BBC-Hörer am Volksempfänger) usf. Sogar die sog. Wende 1989/90 ff. - welche von Karge textlich nachbereitet worden war - gestaltete sich mit zum Stückthema...

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Viel Vieles (allzu Vieles) für gerade mal 70 Minuten Sprech- und Musizierzeit; ich begriff nicht ganz, weshalb dann dieses Monologstück so berühmt und vielfach übersetzenswert gewesen war bzw. wäre - doch ich hätte es wohl besser vorher lesen sollen.

Und der Karge sieht bei weitem nicht wie 81 aus, als ich ihn da so plötzlich auf der Bühne stehen sah: à la bonheur!

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 09.02.2020.]

JACKE WIE HOSE (Kleines Theater, 08.02.2020)
Ein deutsches Märchen in einer melodramatischen Fassung von Manfred Karge

Regie: Manfred Karge
Mit: Eva Brunner und Bo Wiget
Uraufführung am Schauspielhaus Bochum: 15. Dezember 1982
Premiere im KLeinen Theater Berlin: 8. Februar 2020
Weiterer Termin: 09.02.2020

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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