Kent Nagano experimentierte mit dem DSO

Konzertkritik Star des Abends: Der Rundfunkchor Berlin (mit Schuberts As-Dur-Messe und der Beethoven-Chorfantasie)

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Bei einem seiner letzten DSO-Konzerte - ungefähr vor einem Jahr - tat Kent Nagano sich thematisch auf den sogenannten Letzten Willen (4fach) kaprizieren und setzte zu dem Behuf das Vorspiel und den Liebestod aus Wagners Tristan, die Verklärte Nacht von Schönberg, Schuberts Unvollendete und Strauss' Vier letzte Lieder aufs Programm; es funktionierte.

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Jetzt [will sagen: gestern] kombinierte er zwei chorsinfonische Werke (Schuberts Messe in As-Dur, Beethovens Chorfantasie) mit den Streicher-Metamorphosen von Richard Strauss - als tröstlich-streichig-frohgemuten Reigen; zwingend nachvollziehbar war das diesmal freilich nicht, v.a. hinsichtlich des über alle Maßen gut gelaunt und virtuos gespielten Stücks für 23 Solostreicher - - irgendwie vermied es der Nagano, der von ihm verantworteten Darbietung so was wie einen geistigen Halt oder einen konzeptionellen Überbau zu widmen und weswegen selbige (Metamorphosen) musikantisch zwar brillierte aber dennoch relativ ins Leere stieß...

Schon immer war man ja bisher der ungefähren Ansicht, dass es sich dann ausgerechnet bei den Strauss'schen Metamorphosen, einem Alterswerk des Komponisten, um ein Beispiel von vertonter Trauerbewältigung gehandelt haben sollte, denn angeblich wäre der Betroffene vom alliierten Bombardement auf München (zwischen 1942 und 1945) mental sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden, weshalb ihm dann auch prompt jene so altersweisen Weisen "zugefallen" wären. Ja und plötzlich lese ich dann im Programmheft DAS hier:

"Die neuere Forschung belegt, was man beim Hören der Metamorphosen immer schon vermuten musste: Auch Strauss wusste, dass die geistige und moralische Zerstörung längst vor den alliierten Bombenflügen begonnen hatte, nämlich mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Er wusste auch, dass er sich als Präsident der Reichsmusikkammer für eineinhalb Jahre in den Aufstieg des Regimes hatte einbinden lassen. Bis Mitte 1944 hielt er zu etlichen Nazigrößen Kontakt. Danach belegen Äußerungen und Tagebucheintragungen, in denen er die NS-Macht als größtes Menschheitsverbrechen bezeichnete, ein kritisches Nachdenken. In jene Zeit fallen die Skizzen für die Goethe-Vertonungen und die Arbeit an den Metamorphosen." (Habakuk Traber)

Was für ein gigantischer Gesinnungswandel! Ist es möglich?

* * *

Weit noch vor der Pause (Messe in As-Dur) war ungleich besser und bedeutungsvoller als die Darreichungen später.

Und den Rundfunkchor Berlin live singen zu erleben ist an sich ein Staatsereignis ersten Ranges; Schubert kann er (auch) sehr gut; was kann er eigentlich dann nicht?!

Ein handverlesenes Solisten-Quartett [Namen s.u.].

Pianist Till Fellner saß beim Beethoven am Flügel.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 01.04.2017.]

DEUTSCHES SYMPHONIE-ORCHESTER (Philharmonie Berlin, 31.03.2017)
Richard Strauss: Metamorphosen für 23 Solostreicher
Ludwig van Beethoven: Fantasie c-Moll für Klavier, Chor und Orchester
Franz Schubert: Messe Nr. 5 As-Dur für Soli, Chor und Orchester
Genia Kühmeier, Sopran
Till Fellner, Klavier
Matthew Rose, Bass
Benjamin Bruns, Tenor
Claudia Huckle, Alt
Rundfunkchor Berlin
Choreinstudierung: Philipp Ahmann
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Dirigent: Kent Nagano

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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