Kent Nagano prüft "Die Walküre" (in Hamburg)

WAGNER-LESARTEN In der Hamburgischen Staatsoper wird Richard Wagner völlig anders (als woanders) musiziert

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Der amerikanische Pultstar Kent Nagano (seit 2015 GMD der Hamburgischen Staatsoper) wird sich die nächsten Jahre wohl noch intensiver als bisher in seiner künstlerischen Laufbahn mit dem Wagner-Ring - hinsichtlich dessen "historisch informierter Aufführungspraxis" - auseinandersetzen. Das in Zusammenarbeit mit Concerto Köln, der Kunststiftung NRW und einem Team von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen bis ungefähr 2019/20 angelegte Großprojekt unter der Formel WAGNER-LESARTEN wird von ihm selbst geleitet; im vergangenen September fand da schon mal ein Symposium an der Uni Köln statt, wo es beispielsweise um so Themen wie "Gesang und Aussprache", "Inszenierung und Wirkung" oder "Instrumental- und Dirigierpraxis" gegangen war. Es gibt also, wie aus der Initiative flugs zu schließen ist, einen seit Langem überfälligen Erforschungs- sprich Handlungsbedarf, um altbewährte Hör- und Spielgewohnheiten bei Wagners Ring des Nibelungen vorsichtig entstaubend und entnebelnd auffrischend zu hinterfragen und die neu gewonnenen Erkenntnisse hiernach in praxi vorzustellen; konzertante Aufführungen (mit Concerto Köln als musizierendem Orchester!) werden dann die WAGNER-LESARTEN entsprechend krönen... [Übrigens: Mit Rheingold wurde in 2004 bereits eine der ersten historisch-aufführungspraktischen Wagner-Neusichtungen überhaupt, damals durch Simon Rattle und das OAOE, praktisch in Angriff genommen; das sollte in dem Zusammenhang nicht unerwähnt geblieben sein.]

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In seiner Parsifal-Einstudierung zur Eröffnung der Hamburger Saison (Regie, Ausstattung, Licht von Achim Freyer) war bemerk- und spürbar, wohin/wo Nagano "seinen" Wagner in der Zukunft haben will: präzis im Takt, unlaut, unaufgeregt.

Jetzt, ein paar Wochen später, ließ er ausschließlich nur Die Walküre [aus dem von GMD-Vorgängerin Simone Young besorgten 2008er Ring] für lediglich drei Vorstellungen auf den Spielplan setzen - gestern war die Wiederaufnahme, ja und Naganos musikalische Gereichung: eine klangliche Sensation!

Vier der sechs Hauptrollen (Sieglinde, Hunding, Brünnhilde und Wotan) hatte er mit unverbrauchten und kulturvoll, insbesondere auch leise resp. leiser singen könnenden Persönlichkeiten (Jennifer Holloway, Liang Li, Lise Lindstrom und der vorrangig als Kunstliedsänger nicht nur Insidern bekannte Matthias Goerne) besetzt; sogar die beiden altgedienten Wagner-Urgesteine Robert Dean Smith (als Siegmund) und Mihoko Fujimura (als Fricka) hielten selbstdisziplinierend Maß. Dass sich das ausführende Personal schier ideal der psychologisierenden, steril-klinischen Inszenierung von Claus Guth und Christian Schmidt (Bühne/Kostüme) ein- und anzupassen in der Lage war, spricht für die Produktion an sich.

Die unter all den obig aufgeführten Umständen erzielte Textverständlichkeit: verblüffend und doch irgendwie fast zwangsläufig.

Die exemplarische Herauskristallisierung von Instrumental-Details: ein Hohefest der Kammermusik.

Die affektdiminuierende Enthetzung, auch die allgemeine "Dämpfung" des Orchesters: luftig, lau und mit viel fernem Wetterleuchten.

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Die Walküre unter Kent Nagano - eine neuzeitliche Ersterfahrung allerhöchster Provenienz!

Im Norden Deutschlands leider nur noch zwei Mal (14. / 20. Januar 2018) mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg live zu hören .

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 09.01.2018.]

DIE WALKÜRE (Hamburgische Staatsoper, 07.01.2018)
Musikalische Leitung: Kent Nagano
Inszenierung: Claus Guth
Bühnenbild und Kostüme: Christian Schmidt
Licht: Michael Bauer
Dramaturgie: Hella Bartnig
Besetzung:
Siegmund ... Robert Dean Smith
Sieglinde ... Jennifer Holloway
Hunding ... Liang Li
Wotan ... Matthias Goerne
Brünnhilde ... Lise Lindstrom
Fricka ... Mihoko Fujimura
Gerhilde ... Hellen Kwon
Helmwige... Iulia Maria Dan
Waltraute ... Nadezhda Karyazina
Schwertleite ... Marta Swiderska
Ortlinde ... Gabriele Rossmanith
Siegrune ... Katja Pieweck
Grimgerde ... Ann-Beth Solvang
Rossweiße ... Dorottya Láng
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Premiere war am 19. Oktober 2008.
Weitere Termine: 14., 20.01.2018

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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