Kirill Petrenko & Berliner Philharmoniker

Konzertkritik Kurze Stippvisite ein Jahr vor dem Amtsantritt

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Sich rar machen ist gut - nicht nur für den, den es betrifft.

Wenn nächsten Sommer also dann Kirill Petrenko offiziell sein Hochamt als der neue Chefdirigent und künstlerische Leiter der Berliner Philharmoniker antritt, kann allgemein zumindestens behauptet werden, dass die Neugier auf ihn unverschlissen groß ist.

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In paar Tagen stellt das deutsche Vorzeigeorchester Nr. 1 seinen Konzertplan für die kommende Saison 2018/19 vor - ja und man hofft, dass dann der Name seines neuen Chefs womöglich mehr als ein- bzw. zweimal auf der Liste steht; ein Jahr vorm Stabwechsel von Claudio Abbado auf Sir Simon Rattle war es "damals" so, dass sich die beiden eine ganze Spielzeit lang (also bevor die offizielle Inthronisation stattfand) fast paritätisch einen Großteil der zu dirigierenden Konzerte untereinander aufteilten.

Diesmal scheint alles etwas anders; früher war und ist halt immer früher.

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Seinen einmaligen 2018er Noch-Gastauftritt bestellte der Petrenko jetzt mit Werken, die normaler Weise (wenn sie nicht dann ausgerechnet von den Philharmonikern gespielt würden) nicht Viele hinterm Ofen vorlockten. Das von der optisch als wie musikantisch aufreizenden Yuja Wang gespielte 3. Klavierkonzert von Prokofjew (nicht unbedingt, außer bei hartgesott'nen Fans und Kennern neuerer Musik, ein Publikumsmagnet) mochte da noch bekanntheitsgradig durchgehen; und auch die Namen von Paul Dukas und Franz Schmidt dürften den gutgelaunten Bildungsbürgern wenigstens geläufig sein: Der Zauberlehrling oder Vorspiel aus der Oper Notre Dame und so.

Doch wer - ich bitte Sie - hatte bis dahin je von La Péri (von Dukas) oder Schmidts letzter und vierter Sinfonie gehört? Allein die Auswahl dieser beiden Raritäten deutete unmissverständlich darauf hin, worauf sich unser Kirill in den nächsten Jahren und Jahrzehnten (also falls er es solange bei den Philharmonikern dann aushält) konzentrieren könnte: nämlich auf eine hochüberfällige Erweiterung des herkömmlichen Kanons mit den immer gleichen Werken von den immer gleichen Komponisten aus der Schublade des bisher Etabliertgehabthabenden. Horizont-Erweiterungen nennt man so was auch. Und das scheint wohl willkommener denn je zu sein!!

Das mir bisher ganz "Unbekannte" wollte ich auch jetzt, schon aus Prinzip, nicht vorwitzig durch meine Kopfhörer herrecherchiert haben; ich wollte also völllig unbeeinflusst hören, was ich vorher noch nie hörte; und es hörte sich erstaunlich an:

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Bei Dukas' La Péri [vom Stoff her nicht ganz unähnlich dem Schumann'schen Das Paradies und die Peri] tut ein schwirrendes Schwurren vielerlei Gebildertheiten in der eig'nen Fantasie erzeugen, aber außer lauter Zartbuntem sollte da nicht viel mehr durch mein Gehirn gepustet werden: hübsch und nett, und gottlob ziemlich kurz.

Die Vierte Sinfonie Franz Schmidt's wäre (dem lesenswerten Beitext nach zu schließen) von immensen Schicksalsschlägen seines Komponisten ausgegangen: Frau im Irrenhaus mit anschließender Zwangs-Euthanasie - Schmidt starb mit 65 Jahren anno 1939 - und der Kindbettfiebertod der Tochter; insbesondere die letztgenannte Katastrophe tat er dann in diesem "durchgängigen" viersätzigen Großwerk nachträglich verarbeiten. Es fängt mit einem trostlos-traurigen Trompetensolo (Gábor Tarkövi) an, und es endet auch wieder mit ihm. Dazwischen großartig durcharbeitete Blöcke voll von durchaus ernst zu nehmender Pathetik und sehr lautbewusster Vehemenz; es rollt und rauscht und kämpft und kantet, auch mit einem wunderschönen Cello-Solo in der Mitte (Ludwig Quandt)... Alles in Allem freilich eine mehr oder weniger gefühlsdus'lige Orgie, aber durchaus hörenswert.

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Und außerdem:

Genau in dem "Moment", wo von den Hörnern ein gediegen-schönes und v.a. langsam-ruhiges Intermezzoartiges erklang, mischte sich (völlig unerwartet!) ein von was weiß ich woher "gestört habender" aber irgendwie doch zugedeckelt gewes'ner Röchelhusten, wie als gäbe es in diesem Hause eine von Scharoun geheim und tief unters Parkett gelegte Abstellkammer für so unbeherrschbare Attacken einzelner Betroffener, wenn also nicht mal mehr ihr Ricola besänftigende Wunder wirkt. Der Männerhusten klang dann so als wäre er vom alten Oblomov. Nein, hoffentlich ist diesem Mann nichts weiter, außer dass er so schlimm husten musste, dann passiert!!

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 13.04.2018.]

BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 12.04.2018)
Paul Dukas: La Péri, Poème dansé
Sergej Prokofjew: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 C-Dur op. 26
Franz Schmidt: Symphonie Nr. 4 C-Dur
Yuja Wang, Klavier
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Kirill Petrenko

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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