Kirill Petrenko mit Mahlers Sechster

Konzertkritik Bukolisches, Martialisches mit den Berliner Philharmonikern

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Kirill Petrenko scheint allmählich - unabhängig oder trotz seiner vertraglich noch bis Spielzeitende andauernden Parallelverpflichtung an der Bayerischen Staatsoper, an der er seit 2013 als ihr Generalmusikdirektor wirkt(e) - in der Hauptstadt angekommen zu sein, und die Berliner Philharmoniker (die ihn 2015 halt zu ihrem neuen Chef bestimmten) werden mit ihm nach und nach jeweils das eine oder andre Werk, das er mit ihnen einstudieren wird, zum allerersten Mal, also mit ihm am Dirigentenpult, aufführen. Spannend war bereits, was er zu Beethoven zum Beispiel "sagen würde", wie er ihn mit dem Orchester musiziert; ja und nach seiner allerersten Siebten wählte er anlässlich seiner offiziellen Inthronisation die Neunte aus, und alle rundum waren baff...

Das mit dem Allererstenmal betraf oder betrifft jedoch nicht nur bestimmte Werke, sondern auch bestimmte Großereignisse, wie sie die Hauptstadt der Musik gelegentlich dann liebt - ein solches Großereignis war zuletzt, wie er und Daniel Barenboim (in dessen ausschließlicher Pianisten-Rolle) ihre offizielle Erstbegegnung vor und mit den Philharmonikern zu zelebrieren angedachten, und man einigte sich auf das 3. Beethoven-Klavierkonzert, und (wie schon angedeutet) als so'n Großereignis funktionierte die Zusammenkunft passabel.

Doch wir schweifen ab - also kurz noch paar Sätze zu der 6. Sinfonie von Gustav Mahler, die uns gestern Abend - ebenso zum allerallerersten Mal mit ihm & ihnen (dem Petrenko & den Philharmonikern) geoffenbart wurde:

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"Aufruhr und Idylle, Triumph und Katastrophe, Marsch und Choral, Zuversicht und Resignation, Natur, Leben und Tod – all das vereint Mahler zu einem gewaltigen musikalischen Kosmos. 'Wie kann ein Mensch von Ihrer Güte so viel Grausamkeit und Unbarmherzigkeit ausdrücken', soll ein Freund den Komponisten gefragt haben. Mahler – so wird berichtet – habe daraufhin geantwortet: 'Es sind die Grausamkeiten, die mir angetan worden sind, die Schmerzen, die ich zu dulden hatte!'" (Quelle: berliner-philharmoniker.de)

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Der etwas weniger bukolisch, dafür aber etwas mehr martialisch ausladende erste Satz gewinnt zu seinem irgendwie von uns ersehnten Ende hin einen schier zugespitzten Grad an perfektioniert gemimter Hatz, dass man sich glücklich schätzen wollte, nicht unter die todbringenden Hufe einer wildgeword'nen (Männer- und Soldaten-)Horde zufällig geraten zu sein; ein Albtraum sondergleichen.

Die zwei Mittelsätze haben blauhimmlige Atmosphäre und enthalten trotz der dünnen Höhenluft widernatürlich jede Menge Sauerstoff und suggerieren somit eine irrlichterne Leichtigkeit.

Am besten wirkt noch das Finale dieses Sinfoniebrockens; auch saust der Riesenholzhammer zweimal aufs Holzbrett nieder ohne dass es auseinanderspant...

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Was der Petrenko mit den Philharmonikern zukünftig sonst noch so bei Mahler anzurichten willens wäre, steht derzeit wohl in den Sternen; niemand weiß.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 24.01.2020.]

BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 23.01.2020)
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 6
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Kirill Petrenko

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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