KREUTZER-SONATE oder DIE KREUTZERSONATE

Gedankenspiele Pinchas Zukerman & Daniel Barenboim "zwischen" Ludwig van Beethoven und Lew Tolstoi

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Pinchas Zukerman & Daniel Barenboim ließen am Sonntagnachmittag die sog. Kreutzer-Sonate erklingen - und davor sowie danach legten sich beide auch noch Beethovens vorvorletzte und letzte Violinsonate auf ihr Notenpult; wir wurden Zeuge eines imposanten kammermusikalischen Konzerts!

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Gleich zweifach gibt es, was dieses zentrale Werk betrifft, total verrückte Bei-Geschichten, die zwar für das musikalische Verständnis unbrauchbar zu nennen wären, aber als historisch-humanistisch Einzuordnendes von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind:

Sein Schöpfer hatte es zum Einen eigentlich einem ganz anderen zur damaligen Zeit berühmten Geigenvirtuosen, nämlich George Bridgetower (1779-1860), dediziert, ja und derselbige brachte es selbstverständlich, wie es zwischen Komponist und Geiger ausgemacht gewesen war, im Mai des Jahres 1803 zur Uraufführung. Nach dem Auftritt soll es allerdings [lt. Wikipedia] "wegen eines Mädchens zu einem Streit zwischen beiden gekommen sein, so dass Beethoven die Widmung wieder tilgte" und sie justament dem französischen Stargeiger Rudolphe Kreutzer (1766-1831), der das Werk absurderweise niemals spielte, nachgerade überschrieb; womöglich hatte Beethoven aber den Kreutzer schon viel länger als den weitaus Würdigeren im Visier - so oder ähnlich ist es jedenfalls als zusätzliche Variante dieses schrägen Vorfalls nachlesbar.

Zum Anderen war mir das Zukerman-und-Barenboim-Konzert lustvoller Anlass, Lew Tolstois berühmte und nicht minder frauenfeindliche Novelle Die Kreutzersonate - erstmals überhaupt - zu lesen; die weit über hundert Seiten mit arg klein gedruckten Buchstaben in einer alten Ausgabe von Rütten & Loening (Übersetzung: Dieter Pommerenke) strengten meine Augen zwar gewaltig an, doch meiner prinzipiellen Neugier auf die Stelle, wo es tatsächlich (und endlich) dann um Beethovens Kreutzer-Sonate gehen sollte, tat dem letzten Endes keinen Abbruch. Schließlich, bei Kapitel 23 angekommen, lese ich:

"'Oh, es ist eine fürchterliche Sache, diese Sonate! Besonders der erste Satz. (...) Dem Presto folgten das schöne, doch nicht sonderlich originelle Andante mit seinen ziemlich banalen Variationen und das ganz unbedeutende Finale. Auf Bitten der Gäste spielten sie anschließend noch die Elegie von Ernst und verschiedene leichte Sachen. Das alles klang sehr schön, beeindruckte mich jedoch nicht im entferntesten so wie der erste Satz der Sonate. All das wurde von dem großen Eindruck überschattet, den das Presto des ersten Satzes in mir hinterlassen hatte. (...)"

Laienurteilig.

Kurz zur Erklärung für uneingeweihnte (Nicht-)Leser:

Der aus der Untersuchungshaft entlassene Gatte seiner zuvor von ihm in einem Anfall rasender Eifersucht erstochenen Gattin - Totschlag im Affekt, was russische Gerichte ihrer Zeit als eine Art von Kavaliersdelikt durchgingen ließen - sinniert im Nachhinein (gegenüber dem "Novellenhörer" sprich Tolstoi, dem er bei einer Zugfahrt seine Mordsgeschichte resp. ihre psychophilosophischen Vor- und Begleiterscheinungen) über die Frau an sich sprich ihre Rolle in und außerhalb der bürgerlichen Ehe. Und es geht ihm erstrangigermaßen um die Frage, wem bzw. ob der jeweilige Ehe-Teil dem jeweils anden Ehe-Teil gehören würde, ob es also so etwas wie körperliche Besitzansprüche (innerhalb des Ehe-Bundes) gäbe - und er selbst entschied die Frage eindeutig in seinem Sinne, denn: "Ich kenne sie nur als Tier." Wollte/will sagen, dass es dann mit ihr beim Sex im Ehebett wohl meistens Spaß gemacht hätte von wegen "schweinemäßiges Zusammenleben", doch ansonsten eheliches Einerlei mit ausweglosem Hass (Gewohnheitshass) das Eheleben außerhalb der Bettmatratze zweckbestimmte. Ja und dann kam halt ein Wanderer des Weges: Musiker sprich Geiger; und der musizierte mit der Gattengattin, die ihn am Klavier begleitete, Beethovens Kreutzer-Sonate... und dann tat der Gatte seine Gattin mit dem Musiker "auf frischer Tat ertappen" und stach sie halt tot. Der helle Wahnsinn oder?

Was einem so alles anlässlich 250 Jahre Beethoven gedanklich widerfährt; schon irre.

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Übrigens machte der Barenboim am Flügel einen ziemlich dominanten Eindruck, wo hingegen dann die Geige von dem Zukerman - von der Akustik her - stark unterschwellig wirkte. Wirkte! wie gesagt.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 10.03.2020.]

DAS BEETHOVEN-JAHR (Pierre Boulez Saal, 08.03.2020)
Die Violinsonaten III

Ludwig van Beethoven: Sonate für Violine und Klavier G-Dur op. 30/3
- Sonate für Violine und Klavier A-Dur op. 47, Kreutzer-Sonate
- Sonate für Violine und Klavier G-Dur op. 96
Pinchas Zukerman, Violine
Daniel Barenboim, Klavier

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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