LA BOHÈME durch Barrie Kosky

Premierenkritik Die mittlerweile fünfte Inszenierung des Puccini-Klassikers an der Komischen Oper Berlin

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La Bohème ist Kanon an der Komischen Oper Berlin; vier Inszenierungen gab es hier schon - von Felsenstein, von Herz, von Kupfer, von Homoki. Ja und eigentlich kann man mit diesem größten aller Schmachtfetzen Puccinis kaum was falsch machen. Das Stück ist gut, seine Musik noch besser. Die Gefahr könnte darin bestehen, Dies & Das zu übertreiben oder umgekehrt (auch möglich).

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Barrie Kosky unterlag nun gestern Abend zweifach dieser "Negativ-Versuchung"; übertrieben hatte er die große Chorszene zum Weihnachtsfest mit seinem hinlänglich bekannten und nicht immer passgenauen Halligalli-Kreisch, und (stellenweise) untertrieben das Beziehungskistige zwischen Mimi/Rodolfo, die er (stellenweise) je für sich, sie äußerst links, er äußerst rechts zur Rampe hin positioniert, vorsingen ließ... Aber selbstredend fiel ihm dann auch wieder etwas fast Genialisches in puncto Herz-und-Schmerz-Finale ein:

Marcello (Fotograf statt Maler) knipst das Liebespaar Mimi/Rodolfo; sie sitzt, von den Leiden ihrer Schwindsucht völlig ausgezehrt, auf einem Stuhl, er steht, von Optimismus keine Spur mehr, überhöht dahinter - dieses Stilleben würde das letzte Andenken des Liebsten an die Liebste sein; gesagt, getan - - sie fällt dann reglos auf dem Stuhl in sich zusammen, ihm wird das als erster großer Lebensschmerz bewusst - - - ja und Lied aus.

Mich hatte seiner Zeit dieSchlusslösung Homokis (in 2008) viel überzeugender beeindruckt, doch mit Koskys aktueller jetzt und hier konnte ich dann - zur Not - auch leben.

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Die Gecasteten der Aufführung sind alle in dem gleichen Alter wie ihre zu singenden Figuren, heißt authentisch:

Nadja Mchantaf (als Mimi), Jonathan Tetelman (als Rodolfo), Günter Papendell (als Marcello), Dániel Foki (als Schaunard), Philipp Meierhöfer (als Colline) und Vera-Lotte Böcker (als Musetta) - und die beiden Frauen fallen stimmlich mehr noch aus den Rollen als "ihre" vier Männer.

Dirigent Jordan de Souza mag Puccini irgendwie mehr laut als leise(r), und das nutzt sich ab; aber vielleicht liegt es auch bloß an der so grauenhaften Saalakustik, jedenfalls kann das Orchester der Komischen Oper Berlin sicherlich nix dafür; dasselbe Überaufgebot an Phonstärke prasselt dann freilich auch vom Chor nebst Kinderchor zu meinen Ohren runter.

Rufus Didwiszus' arg karge Bühne wirkt arg einfallslos.

Zu großer Jubel.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 28.01.2019.]

LA BOHÈME (Komische Oper Berlin, 27.01.2019)
Musikalische Leitung: Jordan de Souza
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühnenbild: Rufus Didwiszus
Bühnenbildmitarbeit: Jan Freese
Kostüme: Victoria Behr
Dramaturgie: Simon Berger
Choreinstudierung: David Cavelius
Einstudierung Kinderchor: Dagmar Fiebach
Licht: Alessandro Carletti
Besetzung:
Mimì ... Nadja Mchantaf
Musetta ... Vera-Lotte Böcker
Rodolfo ... Jonathan Tetelman
Marcello ... Günter Papendell
Schaunard ... Dániel Foki
Colline ... Philipp Meierhöfer
Parpignol ... Emil Ławecki
Alcindoro ... Christoph Späth
Kinderchor, Chorsolisten und Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere war am 27. Januar 2019.
Weitere Termine: 02., 08., 14.02 / 17., 22., 30.03. / 04., 19., 28.04. / 15.05. / 29.06.2019
Koproduktion mit dem Abu Dhabi Festival

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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