Landliebe adé

Tanzkritik In "GOLD®" von MS Schrittmacher vernichten Gier und Geld die Idylle des Landlebens. Am Ende steht das Chaos

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"GOLD® setzt sich auf die Fährte von Gier und Verführung. Das Gieren nach Gold beschleunigt uns und unsere Zeit. Die Spirale der Gier dreht sich immer schneller, stürzt die Ordnung ins Chaos, zieht uns in ihren Bann und mit sich. Mit dem Sinn für das Tragische im Komischen und das Komische im Tragischen untersucht GOLD® die un- heilvollen Auswirkungen des Virus Gier auf menschliches Miteinander und gesellschaftliche Systeme. Triumph oder glanzloses Scheitern." (Quelle: MS Schrittmacher)

Aber zunächst, in aller gottgebotnen Unschuld, werden wir noch einmal Zeuge landschaftlicher Ansichtsfreuden sowie ländlicher Gepflogenheiten: Es ist Spätsommer oder vielleicht schon goldner Herbst. Die Bühne (von Cordelia Matthes hochgenial erdacht und in betörend schöne Bilder umgesetzt!) besteht aus einer saftig-grünen Wiese und einem bis hoch zum Horizont reichenden und goldgelb leuchtenden Kornfeld. Es scheint Erntezeit zu sein; und vier nicht unglücklich aussehende Landpomeranzen, knackig reife und prallrote Äpfel essend, demonstrieren ihre Pantomimen, die sie variantenreich und variable bei der Heumahd, bei der Kornsaat oder der Kartoffelernte zeigen - derart schlicht und schön und voller infantiler Unbedarftheit, dass man meinen sollte, es mit nachgestellten Szenen (national- oder realsozialistischer Couleur) aus einem Propagandafilm von irgendwann zu tun gehabt zu haben.

Dieses ansteckende und wahrhaftig insgesamte Glück bzw. Glücksgefühl ("es geht doch nichts über die Landluft und ein selbst gebacknes frisches Brot" o.s.ä.) wird doch jäh und schlagartig - in dem der aus dem Stall der Volksbühne Berlin sattsam bekannte Komponist Sir Henry Straussens Gipfel- und Zentralmotiv aus dessen Alpensinfonie original und vollwuchtig zitiert - mit der wie aus dem Nichts hervorgezauberten und leblos vor sich hin starrenden Goldmarie (der splitternackten und mit Goldstaub vorpannierten Jessica Kammerer-Georg) unterbrochen sprich konterkariert:

Gold, Geld und Gier nehmen fortan den unaufhaltsam und das vormals schöne Landleben verändernden, vernichtenden Schlusslauf...

Die ahnungslosen BäuerInnen werden von der profitablen Goldeva - und immer wieder wird dann auch der Apfelbaum (der sog. Baum von der Erkenntnis oder so) ins Spiel gebracht - verführt und, auch wenn es an ein paar Stellen dieses handlungsreichen Tanzstückes von Martin Stiefermann, Hartmut Schrewe sowie Efrat Stempler eher umgekehrt erscheint, zur Goldgier vergewaltigt. Später kehren die verführten Vergewaltigten höchstselbst als Vergewaltiger von ihrem Land und Grund zurück; sie tragen jetzt Klamotten von Designern, fahren schicke Autos und erbauen sich auf ihrem Land und Grund moderne Häuser inkl. Swimmingpools - - aber wo hatten sie inzwischen dieses ganze Geld wohl aufgetrieben? hatten sie zuvor etwa ihre (gefangene) Goldeselin zum Abendmahl verspeist gehabt??

Zum Stückschluss wird es Lars von Trier-mäßig. Ein Hauch Melancholia weht durchs eden**** - denn die saftig-grüne Wiese sowie das goldgelb leuchtende Kornfeld schwinden peu à peu dahin: der Untergang des Abendlandes, wie es immer so schön heißt. Und Antje Rose und Brit Rodemund und Nicky Vanoppen und Jorge Morro, die die beiden Bäuerinnen und die beiden Bauern vorher tanzten, falten justament zu dem Behuf (= Weltuntergang) das Bühnenbild hübsch ordentlich zusammen...

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 7. 11. 2013 auf KULTURA-EXTRA]

http://vg06.met.vgwort.de/na/457efa628abb4904b7ae7e22d6986c1f

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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