LE GRAND MACABRE (Regie: Peter Sellars)

Konzertkritik Berliner Philharmoniker musizierten Ligeti's Weltuntergangs-Klassiker erstmals in voller Länge

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Der nicht tot zu kriegende György Ligeti-Weltuntergangs-Klassiker Le Grand Macabre [über Inhalt, Hintergrund etc. bitte höchstselbst zu informieren; hierfür haben wir diesmal null Platz], vor fast 40 Jahren an der Königlichen Oper Stockholm uraufgeführt, hat nun auch (endlich!) die Berliner Philharmoniker vollends erreicht; d.h. sie musizierten ihn dann gestern Abend erstmals ganz also in voller Länge. Sein mit lauter Nonsens und absurdestem Humor durchschwängerter Großkorpus ist dann eigentlich MusikTHEATER pur und kann daher ausschließlich "nur" auf einer "echten" Bühne seine theatrale Suggestion zufriedenheitsstiftend entfalten; ich erlebte 1991 eine Aufführung (die letzte Inszenierung von Joachim Herz im Übrigen, bevor er dann paar Jahre später starb) und bin noch immer nachgerade sowie anhaltend vom Rausch des Visuellen angetan. Also nochmal [das ist dann übrigens einer der Haupteinwände zu dem aktuellen Philharmoniker-Projekt]: Ohne THEATER funktioniertLe Grand Macabre nicht! Ja und schon gar nicht mit so einer derart kläglich-halbszenischen Darreichung, wie sie nun unter der Verantwortung von Peter Sellars [den wir übrigens sehr mögen!!] halbwegs-voll missriet:

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Es mag ja gut und richtig sein, dass sich das Großer-Saal-Vollrund des Hans-Sharoun-Baus mittels viel, viel buntem LED-Lichtflackern oder ein paar eingespielten und womöglich stückweisenden Filmchen auf vier LED-Bildschirmen oder einem Dutzend von Atommüllfässern oder einem hergerollten Kranken-/Sterbebett mit Tropf oder zig weißen Kitteln oder unbequemen Strahlenschutzanzügen, die von den Ausführenden zu tragen wären, füllt und füllt und füllt - - die insgesamte Kurzweil des genialen Stücks MusikTHEATER kann und will das nicht zum Ausdruck bringen; es bemüht sie lediglich, aber versagt total als Resultat. Und sowieso: Der Publikumsanteil, der seitlich oder hinten sitzt, was immerhin die Hälfe der Konzertbesucher ausmacht, kriegt nur in diversen Ahnungen vermittelt, was da Visuelles abgeh'n sollte oder so. Mit einem Wort: Zum Weggucken!!!

Der zweite Haupteinwand wiegt allerdings noch viel, viel schwerer und schier deprimierender als der bereits erwähnte erste, denn: Wieso versteiftet ihr euch eigentlich auf einen englischsprachigen Libretto-Text, obgleich die Originalsprache der Oper (von Michael Meschke und György Ligeti) deutsch ist?! Das plausibel also nachvollziehbar zu erklären, würde schon interessieren. / Und infolge dieses Textzugriffs konnte man dann als Englisch-Sprachunkundiger [das soll's ja auch noch geben] zwar den schönen deutschen Text auf den fünf Obertitelkästen simultaner Weise mitlesen, doch währenddessen lief man wiederum Gefahr, szenisch etwas verpasst zu haben; doch verpassen tat man ja, wie schon erwähnt, nicht viel oder nichts Wichtiges.

* *

Musikalisch gibt es keinerlei Beanstandungen!

Das gecastete SolistInnen-Ensemble [Liste s.u.] ist vom Allerfeinsten; besser kann man wohl Le Grand Macabre gar nicht singen.

Der Rundfunkchor Berlin zeigt sich, wie stets, in allerbester Sing- und Spiellaune! Sein Chordirektor Gijs Leenaars ist (weißbekittelt; sieht dann aus, als wäre er der Frauenarzt Dr. Prätorius) mittendrin, also er dirigiert dann seine Leute aus der Gruppe raus und singt sogar an ausgewählten Stellen mit!! Das war mal wirklich was Besonderes.

Und Simon Rattle scheint diese Musik in ihrer schrägen Schönheit und mit ihrem unerwartbar Ungestümem außerordentliuch zu lieben - dieser so von Leidenschaft beseelte Verve tut sich selbstredend aufs Orchester übertragen.

Ja, als konzertanter Mitschnitt: durchaus brauchbar.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 18.02.2017.]

LE GRAND MACABRE (Philharmonie Berlin, 17.02.2017)
Halbszenische Aufführung

Musikalische Leitung: Sir Simon Rattle
Regie: Peter Sellars
Besetzung:
Pavlo Hunka (Nekrotzar)
Peter Hoare (Piet vom Fass)
Anthony Roth Costanzo (Fürst Go-Go)
Anna Prohaska (Amanda)
Ronnita Miller (Amando)
Heidi Melton (Mescalina)
Frode Olsen (Astradamors)
Audrey Luna (Venus und Gepopo)
Joshua Bloom (Schwarzer Minister)
Peter Tantsits (Weißer Minister)
Rundfunkchor Berlin
Choreinstudierung: Gijs Leenaars
Musikalische Assistenz: Duncan Ward
Berliner Philharmoniker
Weitere Termine: 18. + 19.02.2017

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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