LOHENGRIN an der Staatsoper Unter den Linden

TV-Kritik Zeitversetzte Fernsehübertragung auf ARTE

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Der neue Lohengrin der Staatsoper Unter den Linden [der zuletzt dort produzierte stammte aus dem Jahr 2009] war für uns Ausgesperrte - wegen dieser anhaltenden Pandemie - um sechseinviertel Stunden zeitversetzt nur noch auf ARTE nacherlebbar, also nix mit Livestream oder so...

Matthias Pintscher dirigierte, und Calixto Bieito inszenierte.

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Pintscher ist (auch bei der Staatskapelle Berlin) bisher v.a. mehr als Komponist statt als Kapellmeister bekannt und ausgewiesen - sollte er womöglich gar als "Kandidat" für eine Zeit nach Barenboim in Betracht gezogen werden (Stichwort: Generationswechsel)? warum auch nicht: Sein Lohengrin-Vorspiel kann zwar nicht annähernd mit jener federwolkigen Dahingeflirrtheit, die ihm Christian Thielemann verstörend zugesteht, mithalten, doch sein folgliches Herangehen lässt trotzdem aufhorchen. Das Tempomaß ist angezogen. Das Orchester wirkt entkrampft und aufgeräumt; es klingt bestimmt und unsentimental, aber - zwischen Staatsopernchor (Choreinstudierung: Martin Wright) und Staatskapelle klafft an manchen Stellen (Hochzeitsmarsch!) ein Übereinkunftsgraben; war auch leider nicht zu überhören.

Das solistisch-sängerische Aufgebot: heterogen. Die zwei Protagonistinnen treffen - im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen - astrein ihre jeweiligen Tonhöhen. Vida Miknevičiūtė hat ein irgendwie doch schönes, dennoch dauernervig anhörbares Dauerzittern in der Stimme, von ihrer Gesamtausstrahlung her verkörpert sie natürlich DIE Elsa schlechthin! Ekaterina Gubanova ist eine sehr souverän singende Ortrud, derem Bissigen und Aasigen wird sie ambitioniert gerecht. Der Telramund von Martin Gantner zeichnet sich durch außerordentliche Textverständlichkeit, mit der der Sänger ihn versieht, besonders aus. Bei René Pape (= König Heinrich) sind zum Opernende hin unüberhörbar Stimmabnutzungen zu registrieren. Und die ewig schleifenden Bemühungen Roberto Alagnas, der Titelpartie mit gerade noch erahnbaren richtigen Tonhöhen gewissermaßen beizukommen, scheitern größtenteils; so etwas nennt man fehlbesetzt.

Dem Regisseur Bieito, der sich selbst von seiner frühkindlichen Schockerzeit längst autotherapiert zu haben schien, fällt aktuell zu seinem (ersten?) Lohengrin unendlich Vieles ein - genauso unendlichermaßen viel lässt sich dann allerdings nicht dechiffrieren; sorry: Nein, ich kann nicht aufwarten mit irgendeiner Deutung seiner Interpretation, nichts schloss sich mir da - weder fantasiewillig noch intellektuell - plausibel auf. [Am besten schaute sich der Leser selbst den von Bildregisseur Andreas Morrell verantworteten TV-Mitschnitt an, um diesbezüglich mitreden zu können; auf der Mediathek des Senders soll er ja angeblich weiter abrufbar sein.]

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Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 14.12.2020.

LOHENGRIN (Staatsoper Unter den Linden, 13.12.2020)
Musikalische Leitung: Matthias Pintscher
Inszenierung: Calixto Bieito
Mitarbeit Regie: Barbora Horáková Joly
Bühnenbild: Rebecca Ringst
Kostüme: Ingo Krügler
Licht: Michael Bauer
Videodesign: Sarah Derendinger
Choreinstudierung: Martin Wright
Dramaturgie: Bettina Auer und Jana Beckmann
Besetzung:
Heinrich der Vogler ... René Pape
Lohengrin ... Roberto Alagna
Elsa von Brabant: Vida Miknevičiūtė
Friedrich von Telramund ... Martin Gantner
Ortrud ... Ekaterina Gubanova
Heerführer des Königs ... Adam Kutny
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Premiere (in der leeren Staatsoper Unter den Linden): 13. Dezember 2020
TV-Übertragung auf ARTE am 13./14.12.2020

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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