MARE NOSTRUM von Mauricio Kagel

Premierenkritik Kölner Erstaufführung der "Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien"

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Der argentinisch-deutsche Komponist, Dirigent, Librettist und Regisseur Mauricio Kagel (1931-2008) verstarb in Köln - zehn Jahre ist das nun schon her, und hier (in Köln) gedenkt man jetzt besonders intensiv des runden Todestages; sicherlich auch weil der Jubilar ab 1974 als Professor für Neues Musiktheater an der hiesigen Musikhochschule wirkte und dort nachhaltige Spuren hinterließ - in 1975 (fünf Jahre bevor man ihm die deutsche Staatsbürgerschaftschaft aushändigte) schrieb er Mare Nostrum, ein zum Nonsens hin tendierendes sehr merkwürdiges Stück über das Eingebor'nensein; und Sonntagabend gabs schlussendlich dessen Erstaufführung in der Domstadt.

"Ist man nicht in Europa geboren, sndern wie ich, in Südamerika, dann hat man die zweifelhafte Chance gehabt, von 'Entdeckung' sehr häufig zu hören: kaum eine Feierstunde - vom Kindergarten aufwärts - ohne die Erwähnung dieser vom Himmel angeordneten 'Entdeckung Amerikas'. Und gleichzeitig ruft der 12. Oktober 1492, in Südamerika als 'Dia de la Raza' (GENAUE Übersetzung: 'Tag der - WEISSEN - Rasse') pompös begangen, fürchterliche Erinnerungen hervor. Denn der Triumph der Weißen über die Nicht-Weißen, wie die ungeschriebenen Geschichtsbücher bald hätten berichten können, war perfekter Völkermord." (Mauricio Kagel)

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Das [s.o.] ist das eigentliche Thema Mare Nostrums, dessen Untertitel "Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien" es dann örtlich freilich etwas wegmodifiziert bzw. variierend eingrenzt. Eine Art von kammerspielhaft auf den Punkt gebrachte weltanschauliche Beschäftigung mit den für Kagel zeitlebens nicht unwichtig-unwesentlichen Themenschwerpunkten "Kolonialismus" & "Imperialismus":

Die zwei Protagonisten seines etwas über eine Stunde währenden Mini-Spektakels sind zugleich die enzigen Vertreter eines durch Eroberung oder Erobertwerden manifest gemachten Eingebor'nenseins. Miljenko Turk ist auf "Eroberungstour", wo Kai Wessel (inkl. zweier ihn flankierenden StatistInnen) "erobert" wird. Der Eine spricht sein Logbuch rauf und runter, und der Andere gibt Eingeborenenmusik und -laute von sich. Beide sind sie voreinander kaum bzw. nicht verstehbar. Trotzdem finden sie in wechselseitig anrührendem Sprachlosengesang zu sich...

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Das Zeitlose will sagen Zeitgemäße - und besonders aktuell wollte man sein, indem man beispielsweise Seehofers Provokationszitat über die Migration als "Mutter aller Probleme" ins Programmheft hiefte - war bereits am imposanten Bühnenaufbau durch Valentin Schwarz (zudem auch zuständig für Video & Regie) ablesbar: Zivilisationsmüll, angestrandet, noch und noch; hiemit behaus(t)en sich die angestammten Einheimischen.

Ein per Seilzug und auf einer Schiene fahrbares Podest mit den MusikerInnen Ulrike Schäfer, Alice Brie, Lena Schuhknecht, Yuka Otha, Saskia Kwast, Moritz Beck sowie dem Dirigenten Arnaud Arbet gerät von der Distanz zum Ort der Handlung allmählich zur mittelbaren Nähe bis dorthin. Und die Gesamtheit des von Kagel außerordentlich skurril "gecasteten" Instrumentariums, zu dem beispielsweise Strohhalme, Papierseite, Glasmurmel, Eisenkette, Paddel usw. usf. gehören, spricht für einen generellen Schabernack, einen unernsten Ernst, mit denen er beim augenzwinkernden Transport all seiner künstlerischen Absicht so verfuhr.

Das sicher Augenscheinlichste und auch Vergnüglichste bei all dem großartigen Ulk ist das auf Übertiteln nachverfolgbare Libretto Mare Nostrums - ein in einem kauderwelschigen Kunstdeutsch mit fremdsprachig anmutenden Versatzstücken kreierter Text (= besagtes Logbuch des Eroberers); der ist wahrscheinlich mit dem Sänger Turk vorher auf Band gesprochen worden und wird nunmehr in die Aufführung vom Off aus integriert. Auch O-Zitate mit der Stimme von Mauricio Kagel waren hörbar.

Kurzweiliges Musealerlebnis.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 25.09.2018.]

MARE NOSTRUM (Staatenhaus, 23.09.2018)
Musikalische Leitung: Arnaud Arbet
Inszenierung, Bühne und Video: Valentin Schwarz
Kostüme: Astrid Eisenberger
Licht: Nicol Hungsberg
Dramaturgie: Tanja Fasching und Georg Kehren
Mit: Kai Wessel (Contratenor) und Miljenko Turk (Sprecher/Bariton) sowie Hilke Kluth und Fernande Meyer (als Zwei Schwestern)
Gürzenich-Orchester Köln
Premiere an der Oper Köln: 23. September 2018
Weitere Termine: 26., 28., 30.09. / 03.10.2018

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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