MY MELODIES von Helmut Lachenmann

Konzertkritik Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle spielten Lachenmanns "Musik für acht Hörner und Orchester"

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Helmut Lachenmann, der große deutsche Komponist seiner nicht minder großen und gleichsam (nicht nur beim Publikum!) begehrten Oper Das Mädchen mit den Schwefelhölzern ist jetzt extra nach Berlin gekommen, um der Einstudierung seines im vorigen Jahr vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks uraufgeführten Werkes My Melodies (das er zu diesem Anlass etwas "abänderte") sachdienlich-beobachtender Weise beizuwohnen.

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Die Berliner Philharmoniker, "entdeckten" Lachenmann das allererste Mal im Jahr 2011 für sich, als sie dessen nur 10 Minuten dauerndes Tableau auf ihre Notenpulte legten; in 2015 wiederholten sie das prompt nochmal, jeweils mit einer Mahler-Sinfonie (erst 9, dann 2) gekoppelt. Was die Ursache für diese langjährige Ignoranz des 1935 geborenen Stuttgarters gewesen sein könnte, lässt sich allenthalben bloß vermuten; einen ungefähren Anhaltspunkt lieferte so ein Satz wie dieser hier, den ich im (so wie immer) exquisit geschriebenen Programmheft gestern Abend las:

"Lange galt Lachenmann bei den Orchestern als wenig beliebter 'Geräuschspezialist', der den Musikern den Wohlklang ihrer Instrumente mutwillig verweigerte und stattdessen ungewöhnliche Spieltechniken und einen rauen Ton jenseits des Gewohnten einforderte." (Martin Demmler)

Simon Rattle, der dann noch zu seiner Ex-Chefzeit die einer wahren Wiedergutmachung gleichkommende Versöhnungstat des mehr dem Traditionalismus verhafteten Orchesters initiierte und vollzog, wollte nun auch - wenige Monate nach seinem offiziellen Weggang aus Berlin - die hauptstädtische Erstaufführung von My Melodies verantworten und live gestalten.

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Das fast 40-minütige Opus ist von Lachenmann als "Musik für acht Hörner und Orchester" klassifiziert worden - für die acht Hornisten der Berliner Philharmoniker ein sicherlich gefund'nes Fressen! Da bei ihnen momentan zwei Stellen unbesetzt sind, traten sie im Sechser-Pack (Stefan Dohr, Stefan de Leval Jezierski, Georg Schreckenberger, Sarah Willis, Andrej Žust, Klaus Wallendorf a.D.) mit ihren beiden Gästen Thomas Jordans und Marie-Luise Neunecker auf.

Ja und von wegen "Melodies" - da hatte sich der Komponist zur Titulierung seines Werkes einen provokant-ermutigenden Scherz erlaubt; aber wahrscheinlich rechneten die wenigsten der Ausführenden, die das Stück vorher nicht/noch nicht kannten, mit gefühlsdus'ligem Klangwohllaut, der sie hätte erwartet haben sollen...

Insbesondere schien Lachenmann sich (in My Melodies) für atemtechnische Belange - nicht etwa nur hinsichtlich der acht solistisch vorgesehenen Hornisten - stark machen zu wollen, auch beim großen "Rest" des im Großaufgebot mittuenden Orchesters waren diesbezüglich hör- wie sehbare Ein-/Ausatmungsaktionen registrierbar, was dann wiederum und irgendwie in einer Art von letztlich aushauchendem Lebenswillen à la Liebestod (zum Schluss) verfönte.

"Schwebungen" oder "ratternde Flatterzungen" oder "Luftgeräusche" resp. "Echowirkungen" und "Nachklänge" sowie "Ventilklappern" dienten sodann der werkerläuternden Betextung im Programmheft dankbar-hilfkrückiger Maßen als Vokabeln.

Luftig-lustige und eigentlich doch leicht bekömmliche Musik.

Starkjubel.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 22.03.2019.]

BERLINER PHILHARMONIKER (Berliner Philharmonie, 21.03.2019)
Helmut Lachenmann:My Melodies, Musik für acht Hörner und Orchester
Robert Schumann: Symphonie Nr. 2 C-Dur op. 61
Stefan Dohr, Horn
Stefan de Leval Jezierski, Horn
Georg Schreckenberger, Horn
Sarah Willis, Horn
Andrej Zust, Horn
Klaus Wallendorf, Horn
Thomas Jordans, Horn
Marie-Luise Neunecker, Horn
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Sir Simon Rattle

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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