ŒDIPE an der Komischen Oper Berlin

Premierenkritik Ainārs Rubiķis dirigierte und Evgeny Titov inszenierte George Enescus einzige Oper

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25 Jahre hat sich der rumänische Komponist George Enescu (1881-1955) Zeit gelassen für seine einzige Oper! Sie behandelt das schicksalhafte Leben des griechisch-mythologischen Ödipus und rahmt es - und vielleicht als eines von den selteneren Werken, die sich zu dem Thema jemals einließen - zwischen Geburt und Tod (besser: Tod und Verklärung) ein. Es ist also ein ganzheitlicher und geradliniger Abriss, und der Rezipient findet sich in und mit ihm gut zurecht, vorausgesetzt natürlich dass er des Französischen (Dichtung von Edmond Fleg) einigermaßen mächtig ist; ja und falls nicht, verfolgt er halt die an der Rückenlehne seines Vordersitzes mitlaufende deutsche Übersetzung...

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Das Opus ist gewaltig und doch nicht gewalttätig. Die zwingende Musik Enescus hat eine gewisse Schwere, doch sie fließt und fließt und fließt; es tut daher nicht nur den Ohren gut, sich mit und in ihr einzufühlen. Ainārs Rubiķis, der Dirigent der Aufführung, legt sich mit voller Wucht in sie hinein und lebt und liebt und leidet sie aufs Glaubwürdigste - das Orchester der Komischen Oper Berlin klingt satt und weich und weiß mit den mitunter aufbrausenden Steigerungen oder gar Ekstasen unbesoffnermaßen umzugehen.

Nicht zuletzt ist Œdipe v.a. eine Choroper, ja und die Chorsolisten der Komischen Oper Berlin, ergänzt und unterstützt von dem nicht minder hochvorzüglichen Vocalconsort Berlin sowie dem hausinternen Kinderchor, scheinen sich diesen Abend selbst zu übertreffen. Ihre Positionen haben sie im 2. Rang des Hauses eingenommen, und David Cavelius koordiniert die Sängerinnen und Sänger von der Seitenlinie (gleiche Höhe freilich) aus. Genial!

Leigh Melros hat als Titelheld naturgegebnermaßen die wohl meiste Arbeit und wahrscheinlich auch die größte sängerische Anstrengung. Das leistet er bewundernswert und wird hierfür nach der Premiere, vollkommen zurecht, aufs Überschwänglichste gefeiert.

Ihm zur Seite imponieren Karolina Gumos (als Ödipus' Mutter-Gattin), Jens Larsen (als blinder Seher), Christoph Späth (als Ödipus' Vater), aber auch Johannes Dunz (als Hirte), Vazgen Gazaryan (als Hohepriester) oder Shavleg Armasi (als Sphinx).

Rufus Didwiszus' Riesenbühnenwände schüchtern ein und sind so trostlos dunkelgrau und abweisend, wie man sich wohl die Stimmung angesichts eines so trostlos dunkelgrauen und abweisenden Stücks Oper überhaupt nicht anders vorzustellen wagt.

Regisseur Evgeny Titov lässt viel Theaterblut verspritzen und zig Eingeweide rausgehängt sein lassen; das sieht freilich nicht sehr appetitlich aus, aber er dachte sich vielleicht, so müsste es bei diesen griechisch-mythologischen Themata unbedingt dann sein.

Alles in allem:

Widerspruchslose Begeisterung, ja, auch von uns.

Ereignishaft.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 30.08.2021.]

ŒDIPE (Komische Oper Berlin, 29.08.2021)
Musikalische Leitung: Ainārs Rubiķis
Inszenierung: Evgeny Titov
Bühnenbild: Rufus Didwiszus
Licht: Diego Leetz
Kostüme: Eva Dessecker
Dramaturgie: Ulrich Lenz
Chöre: David Cavelius
Besetzung:
Œdipe ... Leigh Melros
Tirésias ... Jens Larsen
Créon ... Joachim Goltz
Le grand prêtre ... Vazgen Gazaryan
Phorbas ... Shavleg Armasi
Le berger ... Johannes Dunz
Laios, Vater des Œdipe ... Christoph Späth
Jokaste, Mutter des Œdipe ... Karolina Gumos
La Sphinge ... Katarina Bradić
Antigone ... Mirka Wagner
Vocalconsort Berlin
Kinderchor, Chorsolisten und Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere war am 29. August 2021.
Weitere Termine: 02., 07., 11., 26.09.2021

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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