PARSIFAL bei den Bayreuther Festspielen 2016

Opernkritik Uwe Eric Laufenberg (Regie) verblüfft durch infantile Biedernis – und Hartmut Haenchen (Dirigent) gibt sensationellen Einstand im Orchestergraben auf dem Grünen Hügel

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In Bayreuth dreht sich dieser Tage wieder einmal alles um Wagner
In Bayreuth dreht sich dieser Tage wieder einmal alles um Wagner

Foto: Timm Schamberger/Getty Images

In Wagners Parsifal passiert so gut wie nix. Es ist das dramaturgisch schwächste seiner zehn in Bayreuth regelmäßig abgespielten Musikdramen, und wir vermuten – weil es halt dann auch das letzte von ihm ist – , dass wohl der Dichterkomponist, also am Ende seiner Tage, absolut dann keine Lust mehr hatte, sich in schöpferischer Art und Weise groß noch "zuzuspitzen". Alles, was er zwischenmenschlich je zum Ausdruck bringen wollte, hatte er bereits von 1840 an, da er am Holländer zu arbeiten begann, gesagt gehabt. Zum Schluss hin wollte er sich (so vermuten wir desweiteren) in größtstatthaftester Gemütsruhe nur noch dem höchsteigenen Vortod seiner selber widmen – und so wurde Parsifal sonach zu seinem eigentlichen Grabgesang. Er hatte ihn einzig allein zur Aufführung in dem von ihm entworf'nen und vom Architekten Otto Brückwald auf dem sog. Grünen Hügel von Bayreuth erbauten Festspielhaus bestimmt; so wurde es ab seiner Uraufführung 1882 dann auch (bis in 1903) gehalten, und deswegen gilt der Parsifal, das Wagnerische "Bühnenweihfestspiel", auch als DAS Nonplusultra (s)eines weltweiten Verehrungskults.

Man sollte sich also rein szenisch schon was einfall'n lassen, um den Ansprüchen des Werkes, das natürlich erstrangiger Weise und v.a. zeitlos musikalisch punktet, irgendwie gerecht zu werden. Parsifal klingt wie ein Riesen-Oratorium. Aber unterhalb der kindischen und religiös gemeinten Handlung lagert jede Menge (Pseudo-) Philosophisches, das gründlich ausgehoben und steinmetzig abgeschlagen zu werden einem guten Regisseur zumeist zur Ehre reichen würden; Christof Schlingensief war da der vorerst Letzte in der Reihe ernst zu nehmender Akteure, dem das zu den Festspielen 2004-2007 verstörend-rätselhaft gelang.

Das sollte dieses Jahr nun durch den Künstlerschreck Jonathan Meese nochmals übertoppt werden – der hierzu Eingeladene wurde (aus nicht präzis genannten Gründen) allerdings dann wieder ausgeladen; und der handwerklich erprobte und gestand'ne Uwe Eric Laufenberg, der momentan als Intendant und Regisseur des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden in Personalunion fungiert, wurde regieersatzleistender Weise ein- bzw. notbestellt:

Der Regisseur kennt sich natürlich mit dem Stück, das er bisher noch nicht auf einer Bühne ausprobierte, allumfassend aus. Von seinem Dramaturgen Richard Lorber ließ er sich zu seinen Inszenierungsabsichten befragen. Im Programmheft lesen wir da beispielsweise, dass der Parsifal für Laufenberg "pan-religiös" zu fassen oder zu bewerten sei. Greift man die These (die ganz unbestreitbar stimmt) wortwörtlich auf und zieht infolge alles Das, was es so insgesamt über fünf Stunden lang zu sehen gab, mit in Betracht, kommt man in kalauernde Urbedrängnis, denn: vom religiosigen Aspekt, ja, schon – aber vom Panhaften bzw. von den panischen Momenten her, nein, eher nicht. Mit andern Worten ausgedrückt: Zu vieles Bim-Bam – viel zu wenig Fleisch!!

Ein pseudopolitisch hergekrampftes Unding voll von peinlichster und peinigender Biedernis!

Der erste Aufzug täuscht die Riesendimension der aktuellen Flüchtlingsproblematik vor, indem wir dementsprechend internationales Personal auf Feldbetten in einer von zig Kriegsbombardements versehrten christlichen Kirche im arabischen Irgendwo liegen sehen.

Der zweite Aufzug gibt einen Schlüssellochblick zum orientalischen Lustbereich eines dort herrschenden und Jesuskreuze sammelnden invasionären Einzeltyrannen atheistischer Weltanschauung frei; seine Mittelsfrau und/oder Gehelfsleistende tritt in einem pseudoaufreizenden Puffmutterfummel auf und beaufsichtigt, so nebenbei, eine Schar anzulernender (orientalischer) Huren - anzulernend deshalb, weil sie es noch nicht so richtig drauf zu haben scheinen, wie man (westliche) Sextouristen heutzutage in einem Hamam zur orgiastischen Verführung bringt; mit solchen Bauchtanzkostümen, wie sie Jessica Karge schneidern ließ, gewisslich nicht.

Der dritte Aufzug endet in einem chorischen Leute-Schreiten nach hinten hin, wo sich die Bühne Gisbert Jäkels öffnete und Nebel überall zu orten war, um (dort wohl) auf der Suche nach dem großewigen Friede-Freude-Eierkuchen das wohl Allheiligste unserer von Religion(en) und Kirche(n) drangsalierten Welt zu finden – prompt geht auch das Licht im Saale an; so etwas meint dann meistens: "Ja, auch ihr seid angesprochen, denkt ruhig einmal näher drüber nach" o.s.ä.

Hm.

*

Der für den (wegen "atmosphärischem" Unbill) vom Grünen Hügel urplötzlich geflohenen Andris Nelsons eingesprungene Hartmut Haenchen – eine seit Jahrzehnten fest im Sattel sitzende internationale Koryphäe in puncto Wagner – tat dem Allverschmachtenden der Riesenpartitur flüssigen Schwung verpassen; die Musik geriet durch seinen frischen und unorthodoxen Zugriff leichtgewichtiger "als sonst", sie atmete unaufgeregt, sie wirkte stellenweise schwerelos. Das sich auf seinen "neuen Chef" urplötzlich umgestimmt haben müssende Festspielorchester reagierte hochprofessionell – als hätte es nie eine andere Sichtweise zum Parsifal gegeben; immerhin spekulierte man im Voraus, dass der Nelsons Alles viel, viel, viel, viel breiter hätte genommen haben wollen. Gott sei Dank gab's jetzt den "harten" Schnitt!

Georg Zeppenfeld überragte Alles und Alle mit seinem Gurnemanz. Die Textverständlichkeit ist geradezu sensationell, sein Sound – zum Hineinlegen!

Ryan McKinny war ein (auch ansehlicher!) Amfortas mit einem "leidenden" Bartiton und trotzdem voll von maskuliner Kraft und Ausstrahlung.

Klaus Florian Vogts Parsifal – immer wieder eine Art Verheißung aus dem Ober- also Überirdischen.

Gerd Grochowski (Klingsor) drängte sich rein stimmlich nicht besonders auf. Er war halt da, um wenig später einfach wieder zu verschwinden.

Von schier kraftballender Ungetüm- und Übermutterhaftigkeit war Elena Pankratovas Herangehensweise an der Kundry bestimmt. So ein markerschütternd lautes "Und lachte" (nebst dem Urschrei zu Beginn des Klingsor-Akts) hatte man hier wohl selten oder gar noch nie gehört!

* *

Zusammenfassend bleibt:

Regielich ein Debakel und ein Armutszeugnis obendrein.

Vom Musikalischen her - hochpassabel.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 03.08.2016.]

Bayreuther Festspiele auf KULTURA-EXTRA

PARSIFAL (Bayreuther Festspiele, 02.08.2016)
Musikalische Leitung: Hartmut Haenchen
Regie: Uwe Eric Laufenberg
Bühne: Gisbert Jäkel
Kostüm: Jessica Karge
Licht: Reinhard Traub
Video: Gérard Naziri
Dramaturgie: Richard Lorber
Chorleitung: Eberhard Friedrich
Besetzung:
Amfortas ... Ryan McKinny
Titurel ... Karl-Heinz Lehner
Gurnemanz ... Georg Zeppenfeld
Parsifal ... Klaus Florian Vogt
Klingsor ... Gerd Grochowski
Kundry ... Elena Pankratova
Gralsritter ... Tansel Akzeybek und Timo Riihonen
Knappen ... Alexandra Steiner, Mareike Morr, Charles Kim und Stefan Heibach
Klingsors Zaubermädchen ... Anna Siminska, Katharina Persicke, Mareike Morr, Alexandra Steiner, Bele Kumberger und Ingeborg Gillebo
Altsolo ... Wiebke Lehmkuhl
Festspielchor
Festspielorchester
Premiere war am 25. Juli 2016
Weitere Termine: 6., 15., 24. + 28. 8. 2016

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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