PIERROT LUNAIRE mit Dagmar Manzel

Premierenkritik Auch zwei Beckett-Monologe an der Komischen Oper Berlin

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Beckett-Stücke lesen, hören, sehen heißt dann immer auch Sterben und Tod assoziieren; geht nicht anders. Aktuell (= "Coronazeiten" [diese Scheißvokabel bringt es immer wieder allgemeinverständlich auf den Punkt, aber deswegen ist sie auch nicht weniger zum Kotzen]) will sich der eine oder andere sprachakrobatische Theatermonolog des Iren Samuel zudem für minimalaufwändige Projekte fast schon aufdrängen - man braucht nur einen Darsteller, und auch die Bühne kann demnach entweder blank und also ohne jede Ausstattung oder sparsamst bebaut sein, und im Fundus hängen meist noch Sachen, die die Monologisierenden auftragen könnten oder so.

"Samuel Becketts Monologe sind mit ihren rhythmischen Satzfragmenten und Wiederholungen eine Musik für sich: Mit dem Gedankenstrom, den staccato-artigen Satzfetzen von Nicht ich bricht sich ein ungebremstes Redebedürfnis Bahn und eine verzweifelte Leidensgeschichte zeichnet sich ab. Rockaby begleitet als minimalistische Meditation das Sterben einer Frau im Schaukelstuhl."" (Quelle: komische-oper-berlin.de)

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Am Schluss der gestern Abend zirka 80 Minuten währenden Pierrot Lunaire-Premiere mit der großartigen Barrie Kosky-Muse Dagmar Manzel ließ der Intendant und Regisseur der fast ein halbes Jahr im Lockdown gesteckt habenden Komischen Oper Berlin keinen Zweifel daran, dass dieses extra für die Singschauspielerin zusammengestellte Programm - Becketts Nicht ich und Rockaby sowie Schönbergs Pierrot Lunaire - nicht etwa wegen Corona gestrickt wurde, sondern bereits seit Jahren ein inbrünstiger Wunsch Koskys & Manzels war, dass sie dann diese Stücke, ja und insbesondere diesen Pierrot Lunaire, gemeinsam machen wollten und müssten.

Bei Nicht ich ist nur (getreu der Beckett'schen Regieanweisung) Manzels MUND, welcher mit einem Lichtspot eingefangen ist, zu sehen. Der "Rest" der Dagmar: unsichtbar im Schwarzen. Aber ihre Stimme ist zu hören! Und sie muss viel, viel, viel Text aufsagen, der vom tristen Lebenslauf einer inzwischen Siebzigjährigen erzählt.

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Bei Rockaby sitzt sie, um weitere Jahre gealtert und vereinsamt, in 'nem Schaukelstuhl und tut über ihr Lebensende, das sie instinktiv verspürt, nachsinnen; schlussendlich, als es soweit ist, sagt sie nur noch: "Scheiß aufs Leben." Schöner Schaukeltod.

Danach ertönen aus dem Off sage und schreibe 79 Glockenschläge.

Und dann gibt es eine Quasi-Daggi im Matrosenanzug und mit kleinem Teddybär zu sehen. Das Kind (= Pierrot Lunaire) zieht sich von ganz weit hinten an der Brandmauer ein weißes Bett mit weißer Zudecke und weißem Kissen nach vorn und positioniert es ungefähr auf Höhe des Souffleurkastens, hat also fast einen Direktkontakt zu den fünf Mitgliedern des Orchesters der Komischen Oper Berlin [Namen s.u.] und dem Dirigenten Christoph Breidler, der mit ihr den Sprechgesang des Melodrams von Arnold Schönberg mimisch mitträgt. Klingt dann insgesamt fast atonal, ist aber lange noch nicht Zwölfton. Irgendwann verlässt mich meine Hörgeduld; ab dem Moment sehe ich Dagmar Manzel nur noch zu...

Kosky hat lustlos inszeniert, und er kann froh sein, dass der Star des Abends eigentlich keine Regie benötigte, um sowieso aus sich heraus zu strahlen. Eine Autonomin!

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 01.10.2020.]

PIERROT LUNAIRE (Komische Oper Berlin, 30.09.2020)
Nicht Ich|Rockaby|Pierrot Lunaire

Musikalische Leitung: Christoph Breidler
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühnenbild: Valentin Mattka
Kostüme: Katrin Kath
Dramaturgie: Ulrich Lenz
Mit: Dagmar Manzel
Mitglieder des Orchesters der Komischen Oper Berlin:
Gabriel Adorján, Violine/Viola
Felix Nickel, Violoncello
Magdalena Naima Bogner, Flöte/Piccolo
Luise Lieberman, Klarinette/Bassklarinette
Frank Schulte, Klavier
Premiere war am 30. September 2020.
Weitere Termine: 05., 11., 13., 30.10. / 06.11.2020

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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