POROS durch Harry Kupfer

Premierenkritik Händel-Oper von 1731 in die Kolonialismus-Ära verlegt

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Einer der dem früheren Vernehmen nach wohl legendärsten und erfolgreichsten "Hits" der Komischen Oper Berlin war Händels Giustino (1984) in der Inszenierung Harry Kupfers! Leider hatte ich die Aufführung, die überall herumtourte und sich Jahrzehnte lang im Spielplan hielt, nie sehen können; immer hatte ich sie im Kalender stehen, ja und immer kam dann bei mir irgendwas dazwischen; ich bedauere dieses Versäumnis sehr.

Jetzt war der (mittlerweile 83jährige!) ehemalige Chefregisseur der KOB an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt und tat ihr Händels Poros - auch eine von diesen weniger bekannten Opern des deutsch-britischen Barockkompositeurs, uraufgeführt im Jahre 1731 in Londons King's Theatre - bescheren.

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"Das Hauptthema des Dramas ist der Edelmut, den Alexander der Große gegen Poros übte, den König von Paurava in Indien (im westlichen Teil des heutigen Punjab), dem er als wiederholt Besiegtem und Gefangenem das Reich und die Freiheit schenkte." (Quelle: Wikipedia)

Kupfer "aktualisierte" dahingehend, dass er die dem italienischen Libretto Pietro Metastasios zugrunde liegende Geschichte in das Kolonialumfeld britischen Zugriffs auf den indischen Subkontinent verlegte - hierfür schrieb ihm die Autorin Susanne Felicitas Wolf einen neuen (und doch ziemlich altmodisch klingenden) deutschen Text, der allerdings dann wiederum, auch dank einer geradezu vorzüglichen "Behandlung" des gesamten SängerInnenpersonals durch Dirigent Jörg Halubek, fast vollständig verstehbar war. Das unfreiwillig Komische mancher gedrechselter Passagen wie auch die nicht minder unfreiwillige Situationskomik an manchen Stellen führte freilich Kupfers ernste Aktualisierungsabsicht größtenteils dann ad absurdum. Händelopern waren eben immer schon in erster Linie für die sie herauf sowie herunter Singenden bestimmt; allein zu diesem hehren Zwecke hatte sie der hallensische Wahllondoner komponiert, wie wir vermuten wollen; ganz bestimmt.

Nun ja - mit andern Worten ausgedrückt:

Trotz Kupfers arg bemühter Werk-Neusicht zog sich der Abend aufs Erbarmungslose hin. Auch fehlte es an nötigem Humor - so'n derart blödsinniger Opernplot bräuchte die heiter-heiterste Distanz, damit man diese librettöse Scheiße letzten Endes überhaupt erträgt bzw. zu ertragen willens wäre; um Vergebung!

Auch: Über drei Stunden lang wird man in dieser Produktion genötigt, einem grün-blau-wassergrünen Dschungel permanent ins Farn- und Zweig- und Wurzelwerk zu schauen; einfallsloser war ein Bühnenbild Hans Schavernochs noch nie! Yan Tax' Kostüme wollten kolonial-britisch und shiva-indisch sein.

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Dominik Köninger als stimmlich ausgeglich'ner Poros hatte starken Sympathiewert. Ruzan Mantashyan (als Mahamaya) schien die sängerisch Einschmeichelndste und technisch Beste in der schmalen Riege der GesangssolistInnen. Und die recht hoch geratene Altistenstimme Eric Jurenas' (Sir Alexander) nervte überdurchschnittlich, was wiederum dem individuellen "Hörgeschmack" des Schreibenden zu schulden war. Die andern Mitwirkenden [Namen s.u.] leisteten jeweils in adäquater Art das ihre.

Von superber Sondergüte das in kammermusikalischer Stärke aufgestellte Orchester der Komischen Oper Berlin!!!

Freundlicher Beifall.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 17.03.2019.]

POROS (Komische Oper Berlin, 16.03.2019)
Musikalische Leitung: Jörg Halubek
Inszenierung: Harry Kupfer
Bühnenbild: Hans Schavernoch
Kostüme: Yan Tax
Videodesign: Thomas Reimer
Dramaturgie: Simon Berger
Licht: Jürgen Hoffmann
Besetzung:
Poros ... Dominik Köninger
Mahamaya ... Ruzan Mantashyan
Gandharta ... Philipp Meierhöfer
Sir Alexander ... Eric Jurenas
Nimbavati ... Idunnu Münch
Timagenes ... João Fernandes
Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere war am 16. März 2019.
Weitere Termine: 29.03. / 13., 20.04. / 04.05. / 25.06.2019

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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