QUANTUM von Gilles Jobin

Tanz im August 2015 Hohles, seelenloses CERN-Stück

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"Das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, ist eine", klärt uns Wikipedia auf, "Großforschungseinrichtung bei Meyrin im Kanton Genf in der Schweiz. Am CERN wird physikalische Grundlagenforschung betrieben, insbesondere wird mit Hilfe großer Teilchenbeschleuniger der Aufbau der Materie erforscht."

Aber das CERN macht auch 'nen Großspendabelen in Sachen Kunst - da lässt es sich nicht lumpen; ja und Geld genug scheint sowieso bei denen da zu sein. Ein Klassebeispiel nur; ganz aktuell beim Festival Tanz im August bestaunbar - QUANTUM mit der Truppe Cie Gilles Jobin:

"'Physik wird Tanz: 'Kreative Kollisionen' nennt Gilles Jobin den Rechercheprozess, der QUANTUM vorausging. Drei Monate verbrachte er im Rahmen des künstlerischen Residenzprojekts Collide@CERN am europäischen Forschungszentrum für Kernphysik in Genf und ließ sich von den Physikern Michael Doser und Nicolas Chanon in die Mysterien der Teilchenphysik einweihen. Eine für den Tänzer und Choreografen ungeheuere Erkenntnis: Materie wird nicht durch Kontakt der Atome zusammengehalten, sondern allein durch wechselwirkende Kräfte, als sei der Körper eine Wolke. Die Gravitation hingegen, mit der er als Choreograf beständig arbeitet, gilt unter Physikern als die schwächste Kraft im Universum. Aus den Theoremen zu den Grundkräften der Natur entwickelte Jobin 'Bewegungsgeneratoren' für sein Stück. Er kooperierte für QUANTUM mit zwei weiteren Künstlern: Die Komponistin Carla Scaletti hat ihrem Soundtrack Daten des Genfer Teilchenbeschleunigers zugrunde gelegt, die die Kollision hochenergetischer Teilchen und ihre Interaktion mit dem Higgs-Feld messen. Der Bildende Künstler Julius von Bismarck, wie Jobin ebenfalls Resident am CERN, versetzt in seiner Lichtinstallation vier über der Bühne hängende Lampen nach den Gesetzen der Gravitation schwingend in Bewegung." (Quelle: tanzimaugust.de)

Die sechs hochsympathischen TänzerInnen [Namen s.u.] stecken in sehr futuristisch ausschauenden Strampelanzügen, die Jean-Paul Lespagnard kreiert hat.

Ein versprengtes Synthesizer-Knistern setzt die 50minütige Performance wichtigtuerisch in Gang. Die sechs AkteurInnen sind zu drei Mann-Frau-Paaren aufgestellt. Plus-/Minusteilchen darstellend, vermute ich. Ein Scharren und ein stark werdender Generator "dringen" jetzt akustisch in den Saal. Ich denke mir bald so die abgedrosch'ne Grundsatzformel "Männer und Frauen passen nicht zu sammen", wenn ich das Gezittere oder Gezappele zwischen den Plus- und Minuspolen gähnkrampfig begutachte. Aber es gibt auch - Körper, Körper über alles!! - so Umarmungshaftes oder stilisiert Besteigungsartiges. Man geht im Huckepackverfahren auf und ab...

Vier Scheinwerfer, welche als Riesenlampen von der Decke baumeln, tun jetzt Drehbewegungen vollführen; das Schnürbodenpersonal könnte hierfür verantwortlich gewesen sein, oder es funktioniert womöglich automatisch, so per Knopfdruck; keine Ahnung.

Eine Geige, kratzend, ist per Lautsprecher zu hören - oh, freue ich mich da sehr.

Einer der Tänzer schlägt mit seiner Handfläche ein paar Mal auf den Fußboden; aha.

Die Paare lösen sich nun auf, es gibt Vereinzelungen...

Und im dritten oder vierten Teil des drei- bzw. vierteiligen Stücks sieht man so eine Teilchensechser- oder Sechserteilchenskulptur.

Dann starke "Schläge" aus den vielen Boxen - - klingt, als wären mehrere T-Rex aus dem Jurassic Park entwichen und verübten Selbstjustiz am Menschen; meine Fresse, was soll das noch geben?!

Zentrifugenlärm.

Die TänzerInnen bauen aus sich eine ganz synchron gestaltete Spirale oder so.

Und irgendwann ist nix mehr groß (also an Szenischem) erwartbar; hab' mich irgendwie schon lange satt gesehen.

Hohl und seelenlos.


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QUANTUM von Gilles Jobin | Foto (C) Gregory Batardon

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 22.08.2015 auf KULTURA-EXTRA]

QUANTUM (HAU1, 21.08.2015)
Choreografie: Gilles Jobin
Tanz: Stéphanie Bayle, Ruth Childs, Susana Panadés Díaz, Bruno Cezario, Stanislas Charré und Adriano Coletta
Kinetische Lichtinstallation: Julius von Bismarck
Technik: Martin Schied
Musik: Carla Scaletti
Ton und Bühnenbild: Marie Predour
Kostüm: Jean-Paul Lespagnard
Wissenschaftliche Berater: Michael Doser und Nicolas Chanon (Physiker am CERN)
Produktion Cie Gilles Jobin - Genève
Technische Leitung: Marie Predour
TANZ IM AUGUST 2015

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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