Renée Fleming war da!

Konzertkritik POÈMES POUR MI von Olivier Messiaen mit den Concertgebouworkest Amsterdam (Dirigent: Daniel Harding) - beim Musikfest Berlin 2021

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Sofern ich das korrekt und richtig recherchierte, hatte Renée Fleming in 2011 - und zwar zu jenem denkwürdig-historischen Konzert, in dem die Philharmoniker neben den beiden traumhaften Duetten aus der Arabella (die die Fleming ihrer Zeit mit Thomas Hampson sang) auch noch zwei Nazi-Stücke Richard Strauss' zum Besten gaben, was einem Skandal gleichkam - letztmals den großen Saal der Philharmonie betreten; zehn Jahre ist das her. Der Weltstar ließ sich übrigens hier in Berlin nicht einmal irgendwo und irgendwann in einer Operninszenierung sehen; höchstwahrscheinlich war das dann den Häusern doch zu teuer; keine Ahnung, warum die (damals) weltweit so Hochbegehrte niemals "etwas länger" in der Hauptstadt weilte oder weilen wollte.

Jetzt war sie im Schlepptau des Concertgebouworkest Amsterdam (Dirigent: Daniel Harding) beim vorgestern eröffneten MUSIKFEST BERLIN zu Gast, um mitPoèmes pour Mi von Olivier Messiaen erwartbar brillieren zu wollen; es gibt von ihr, ganz nebenbei bemerkt, eine sehr hübsche Aufnahme mit diesem halbstündigen Werk, das das Orchestre Philharmonique de Radio France unter Alan Gilbert begleitet.

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Sie rauscht in einem wunderschönen eierschalenfarb'nen Kleid, worüber sie sich einen königinnengleichen Umhang drapierte, auf die Bühne. Augenscheinlich ist, wie immer, wenn sie auftritt, ihr so gütig einnehmendes Lächeln. Und so hat sie schon mal ihre halbe Miete (mindestens) dann rein.

Die neun Orchesterlieder von Messiaen liegen vor ihr auf einem Notenpult, sie singt also vom Blatt; warum auch nicht.

Dann setzt sie ein...

Ich konstatiere: Ihre Stimme ist noch immer derart rund und schön und irgendwie beinahe lupenrein, so rund und schön und irgendwie beinahe lupenrein, wie ich sie von ihr kenne; nein, da hat sich in der Zeit seit ihrem denkwürdigen Arabella-Ausflug [s.o.] nicht so viel verändert. Ich bin fast geneigt, eine gewisse Arabella-Ungefährlichkeit und -urgemütlichkeit wiedererkannt zu haben, und im Umkehrschluss hieße das freilich, dass ich mir nicht vorzustellen wage, sie jemals mit weit "Gefährlicherem" oder "Ungemütlicherem", was dann ihrer runden, schönen und beinahe lupenreinen Stimme hochgefährlich und hochungemütlich zusetzte, live zu erleben. Doch ein paar von diesen Messiaen-Liedern (das Entsetzen und Die beiden Krieger beispielsweise) haben nun mal so etwas "Gefährliches" und "Ungemütliches" in ihren Grundanlagen, also würden hier, allein für diese beiden Fälle, ein gewisser Mut zur Hässlichkeit oder sogar der Wille das Fortissimo bis zur lautstark sich wegwerfenden Fratze hochzusteigern - alles hinsichtlich der Stimme und des Stimmlichen gemeint - vonnöten sein; doch derlei ist mit Fleming nicht zu machen. Sie bevorzugt halt das stimmlich Schonende, und daher hält sie sich zumeist auch elegant zurück.

Und sowieso vermag sie nicht gegen das orchestrale Überaufgebot, mangels an Kraft und Überwindung, anzusingen.

Dennoch balsamiert sie jene aufgehenden Herzen und die weichen Hirne ihrer standhaft sie auf Händen tragenden treuen Renée-Fans, was an sich als kollektive Rührung wundersamerweise nachempfindbar wird; o ja, ich geb' es unumwunden zu, mir Mitbeteiligtem erging es da nicht unähnlich.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 01.09.2021.]

MUSIKFEST BERLIN 2021 (Philharmonie Berlin, 31.08.2021)
Igor Strawinsky: Agon für Orchester
Olivier Messiaen: Poèmes pour Mi für Sopran und Orchester
Claude Debussy: La Mer
Renée Fleming, Sopran
Concertgebouworkest Amsterdam
Dirigent: Daniel Harding

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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