SCHIFF DER TRÄUME (nach Fellini)

Premierenkritik Deutsches SchauSpielHaus Hamburg schippert (mit Flüchtlingen) auf Hoher See

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Der aktuelle Beitrag des Deutschen SchauSpielHauses Hamburg zur allgemeinen und wohl noch ein Stückchen anhaltenden sog. Flüchtlingsdebatte in der Bundesrepublik Deutschland ist mit Schiff der Träume übertitelt, erklärt sich selbst als Ein europäisches Requiem und wählte den gleichlautenden Film (Fellinis Schiff der Träume, 1983), wo's um eine quasi torpedierte Seebestattung ging, die gleichsam als Metapher für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges (Fellinis Handlung spielte Juli 1914) diente, zur Hauptfutterquelle - wir Fellinifans erinnern uns:

"Die Asche von Edmea Tetua soll vor der Insel Erimo ins Meer gestreut werden. Edmea wurde dort auf der Insel geboren und war die größte Operndiva aller Zeiten. Die illustre Gesellschaft besteht aus berühmten Opernsängern, den Opern-Intendanten von Mailand und Rom, Dirigenten, bizarren Verehrern und skurrilen Opern-Appassionati aus aller Welt - [...] Eines Nachts werden serbische Bürger aufgenommen, die in kleinen Booten Richtung Italien fliehen wollten. Sie werden allerdings als Sicherheitsrisiko betrachtet und von der Reisegesellschaft getrennt untergebracht. Als am nächsten Tag ein österreich-ungarisches Kriegsschiff auftaucht, fordert man die Herausgabe der serbischen Flüchtlinge. Die Serben werden in Booten ausgesetzt und rudern Richtung Kriegsschiff. Dabei kommt es zu einem unerwarteten Zwischenfall, der zum Untergang des Ozeandampfers Gloria N. führen wird." (Quelle: Wikipedia)

Bei den Textzusammenstellungen der Regisseurin Karin Beier und dem Dramaturgenpaar Stefanie Carp & Christian Tschirmer ist die ursprüngliche Ausgangslage leichthin abgeändert und "modernisiert" worden, denn: Nicht etwa einer verstorb'nen Operndiva, sondern einem in der Zwischenzeit zu Urnenpulver verwandelten Dirigenten soll posthum gehuldigt werden - und nicht Serben, sondern Afrikaner sind ins Boot geholt; am Schluss des dreieinhalbstündigen "Integrationskurses" (= Zitat lt. Stückvorlage) werden die aus Seenot Geretteten durch eine vorbeischiffende Frontex-Patrouille - wohin dann eigentlich? - zurückgeführt also de facto abgeschoben.

Das gesamte meinungspolarisierende Programm, das unsereiner über Print und Medien - seit uns die "Lavine" (frei nach Schäuble) überrollte - dauerfeuerhaft um die Ohren gehauen bekommt, nunmehr auch noch in komprimiert-vereinfachendster Art und Weise für den (hoffentlich auch) aufgeklärten deutschen SchauSpielHaus-Besucher abgearbeitet zu haben, sollte nicht partout als künstlerische Ruhmestat betrachtet sein. Es ist vielleicht ein allzu rasches "Hinterherhinken" nach einem salomonisch Ausgleichenden zwischen Meinung A (Pegida-Losungen) und Meinung B ("Wir schaffen das" unserer Kanzlerin). Es wirkt so kleinkariert und hilflos wie man kleinkarierter, hilfloser nicht sein kann.


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Die trauernde Orchestergemeinde im Schiff der Träume am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg | Foto (C) Matthias Horn

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Schiff der Träume punktet freilich seinerseits - v.a. durch das hochvorzüglich musizierende UND schauspielernde Personal; das Inszenierungsteam setzte dabei auf so bewährte Doppel-Hochbegabungen (teils aus der Marthaler-Familie) wie z.B. Rosemarie Hardy, Josef Ostendorf, Sasha Rau oder Bettina Stucky. Aber auch die Auftritte von Lina Beckmann (als besonders bei so K-Wörtern artistisch vor sich hin stotternde Servicekraft), Yorck Dippe (als stark sexualisierter Bassklarinettisten-Macho), Charly Hübner (als sich mit der Dirigentenasche Einpulvernder), Josefine Israel (als Links-Veganerin), Jan-Peter Kampwirth (als Chefstuart-Tucke), Kathrin Wehlisch (als barbrüstige Violonistin resp. "Engel der Verzweiflung"), Julie Wieninger (als dominante, dauerwienernde Gesangsdiva) und Michael Wittenborn (als neben sich stehender debiliner Klarinettist) müssen als kabinettstückreif betrachtet werden.

Gotta Depri, Patrick Joseph, Ibrahima Sanogo, Michael Sengazi und Sayouba Sigué spielen sich selbst und sind - der unsuptilen Handlung nach - als Flüchtlingsdarsteller gecastet worden. Nichts erfährt der Zuschauer/Zuhörer über die konkreten Viten der fünf Afrikaner. Sie sind halt als Gruppe à la Schwarze-treffen-Weiße "engagiert". Dass sie dann große Textblöcke in ihren jeweiligen Herkunftssprachen absolvieren, macht den individuellen Nachvollzug zum Thema oder zu den Themen nicht gerade leichter.


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Die Flüchtlinge aus Afrika im Schiff der Träume am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg | Foto (C) Matthias Horn

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Vieles und/oder das Meiste kommt ironisch zu uns rüber. Durchaus "überzeugend" (und auch immer wieder gern zu hören) die althergebrachte These, wonach durch den inspirierend-zellaufbauenden Hinzugewinn interkontinentaler Imigranten einer drohenden Vergreisung unserer Gesellschaft Vorschübe geleistet werden könnten. Das driftet obzwar in mehr rassistisch anmutende Denken ab, bedeutet allerdings womöglich nur Satire oder so.

Fakt ist: Wir hätten schon sehr gern gewusst gehabt, auf welchen Leidens- oder Liebeswegen unsere sympathischen und dunkelhäutigen Akteure in die Hansestadt gelangt waren - anstatt den Leser mit zig philosophischem und soziologischem und ethnologischem Textbeiwerk im Programmheft zu verprellen, hätte Platz für personelle Infos zur Verfügung stehen müssen; schon aus Höflichkeit diesen gastiert habenden Künstlern gegenüber.


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Die vergreisende Gesellschaft (s. Foto auf dem Szenenbild) schöpft wieder Hoffnung - Schiff der Träume am Deutschen SchauSpielHaus Hamburg | Foto (C) Matthias Horn

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Zwiespätiger Eindruck.

Es gibt viel zu lachen und zu staunen - doch berühren tut so gut wie nichts.

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 06.12.2015 auf KULTURA-EXTRA]

SCHIFF DER TRÄUME (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 05.12.2015)
Ein europäisches Requiem nach Federico Fellini

Regie: Karin Beier
Bühne und Kostüme: Johannes Schütz
Musik: Jörg Gollasch
Choreographische Mitarbeit: Valenti Rocamora i Tora
Licht: Annette ter Meulen
Video: Meika Dresenkamp
Dramaturgie: Stefanie Carp und Christian Tschirner
Es spielen: Lina Beckmann, Gotta Depri, Yorck Dippe, Rosemary Hardy, Charly Hübner, Josefine Israel, Patrick Joseph, Jan-Peter Kampwirth, Josef Ostendorf, Sasha Rau, Ibrahima Sanogo, Michael Sengazi, Sayouba Sigué, Bettina Stucky, Kathrin Wehlisch, Julia Wieninger und Michael Wittenborn sowie die Musiker Ruben Jeyasundaram, Michael Leuschner, Maurice Mustatea und Yuko Suzuki
Premiere war am 5. Dezember 2015
Weitere Termine: 12. + 22. 12. 2015 / 6., 10. + 24. 1. 2016

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

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