Sir Simon Rattle bei der Staatskapelle Berlin

Konzertkritik Werke von Gabrieli, Haydn und Janáček

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Sir Simon Rattle, der gerade wieder mal am Dirigentenpult der Staatsoper Unter den Linden seinen temporären Arbeitsplatz gewählt hat, probt derzeit an Rameaus Hippolyte at Aricie [Premiere wird am 25. November sein]. Dort dirigiert er allerdings das Freiburger Barockorchester, also nicht die "hauseigene" Staatskapelle. Und damit sein neuerliches Hauptstadt-Gastspiel letztlich "nicht ganz ohne" abverläuft, haben jetzt er und sie (dieStaatskapelle Berlin) zum Sinfoniekonzert mit Werken Gabrielis, Haydns, Janáčeks gebeten - übrigens der erste Auftritt Rattles in Berlin, seitdem er letzten Sommer seinen Abschied von den Philharmonikern sehr eindrucksvoll mit Mahlers Sechster zelebrierte.

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Zwischen der Geburt von Giovanni Gabrieli (1557-1612) und dem Tod von Leoš Janáček (1854-1928) bestanden sage und schreibe 371 Jahre! Zählte man jetzt Joseph Haydns Lebens- resp. Schaffensdaten (1732-1809) mit dazu, wollte Sir Simon uns mit seiner Werkauswahl womöglich einen Riesenbogen von der späten Renaissance oder dem Anfang des Barocks über die Wiener Klassik bis zum Übergang zur tschechischen Moderne geschlagen haben:

Das nicht einmal fünf Minuten dauernde Canzon septimi et octavi toni a 12 wurde zu seiner Zeit im Markusdom der Dogenstadt uraufgeführt, ja und es waren (wie in seinem Titel angegeben) zwölf Instrumentalsolisten hierfür vorgesehen. / Die jeweils sechs Posaunisten und Trompeter sind von Rattle in drei Formationen (3:1 - 2:2 - 1:3) aufgestellt - das Ganze hat schon eine ziemlich vorweihnachtliche, posaunenchorig anmutende Atmosphäre; und mit viel, viel Nachhall (wie wohl einst im Markusdom) wäre es mir letztendlich auch sehr recht gewesen.

Haydn zählt zu Rattles Lieblingskomponisten. Immer, wenn er mit den Philharmonikern mit einer von den 104 Sinfonien aufwartete, galt es einer Sternstunde im Wirken beider beigewohnt zu haben - so auch diesmal, allerdings jetzt mit der Staatskapelle; irrwitziger Weise wurde mir in dem Zusammenhang erstmals bewusst, dass ich dieses Orchester (höchstwahrscheinlich) nie/noch nie mit einer Haydn-Sinfonie, die Barenboim auswählte/leitete, erleben durfte, kann aber auch sein, dass ich da irgendwas mal irgendwann verpasst hatte. / Die Sinfonie HOB. I:86 - Höhepunkt des Abends - tat bestechen durch die fast wie hingetupfte Leichtigkeit und so nur unterschwellig wahrnehmbare "Schwere" dieses Werks; in summa klang es derart schwerelos, dass sich ein gut gelaunter und beschwingter Teil des Publikums zu permanentem Klatschen zwischen den vier Sinfoniesätzen veranlasst sah.

Hauptstück des Abends war die imposante aber immer wieder sperrig-wahrnehmbare Glagolitische Messe - sicherlich ein absolutes Auch-Muss für den Rattle, der ja auch ein ausgewiesener Kenner und Könner Janáčeks [Aus einem Totenhaus, Katja Kabanowa, Das schlaue Füchslein] ist. Und über all den Groß- und Kräftigklängen thronend: der extra für das Konzert herzubestellte Tschechische Philharmonische Chor Brno (Einstudierung: Petr Fiala)!!

Schöner und zurecht umjubelter Abend.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 14.11.2018.]

STAATSKAPELLE BERLIN (Philharmonie Berlin, 13.11.2018)
Giovanni Gabrieli: Canzon septimi et octavi toni a 12
Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 86 D-dur
Leoš Janáček: Glagolitische Messe
Iwona Sobotka, Sopran
Anna Lapkovskaja, Alt
Simon O'Neill, Tenor
Jan Martiník, Bass
Christian Schmitt, Orgel
Tschechischer Philharmonischer Chor Brno
(Einstudierung: Petr Fiala)
Staatskapelle Berlin
Dirigent: Sir Simon Rattle

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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