Sonya Yoncheva ist MÉDÉE von Cherubini

Premierenkritik Andrea Breths Berliner Staatsopern-Medea als Aida in Korinth

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Luigi Cherubinis Médée-Oper, von der es gleich einmal zwei Fassungen (1797 bzw. 1802 in Paris bzw. Wien uraufgeführt) gibt, erfährt nicht allzu oft Berechtigung und Eingang für und in die Spielpläne potenter Häuser. Erst seitdem Maria Callas sich dieser beinahe wie für sie geschriebenen Monster-Partie (ab 1953) annahm, ist sie im verschärften Maße ins Bewusstsein nicht bloß eingefleischter Cherubini-Fans geraten und wird ab und an und hie und da gespielt. Als Udo Zimmermann im Jahr 2002 Ursel und Karl-Ernst Herrmann mit der Inszenierung an der DOB beauftragte, galt das (und hielt man das bis da Versäumte je für möglich?) als längst überfällige Berliner Erstaufführung namentlich der sog. "Originalfassung", also derjenigen von 1797 - selbige hatte nun gestern Abend (und nach über 15 Jahren) eine Art von Wiederauferstehung; diesmal inszenierte die für Frauenfragen allgemein und im Besonderen ein hochspezielles Faible habende Andrea Breth.

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"Die mit Zauberkräften begabte Medea, vom Rande der Welt in die Mitte der Zivilisation gelangt, wandelt sich zum Racheengel. Getrieben wird sie von Wut und Enttäuschung, die sie von Jason erfahren musste, dem sie den wertvollsten Schatz, das Goldene Vlies, zu gewinnen half, dem sie sich ehelich verband, und der sie undankbar verließ. In Korinth, wo Jason mit der Tochter des Königs Kreon Hochzeit feiern will, entwickelt sich ein tragisches Geschehen – die elende Medea bringt Elend den Anderen und schreckt dabei nicht einmal vor Kindesmord zurück." (Quelle: staatsoper-berlin.de)

Große Gefühle also, größte Manifestationen allergrößter Leidenschaften waren angesagt und schrien förmlich nach zur Tat werdendem Bühnenrealismus - groß, größer, am allergrößten... Also her mit ihr, der [etwas außerhalb des nach wie vor den Opernmarkt beherrschenden und okkupierenden Netrebkofiebers] aller-allergrößten Opernstarin, die es aktuell so gibt, also angeblich:

Sonya Yoncheva gastierte als Medea!

(Unter Leitung Daniel Barenboims sang sie bereits La traviata; und im Mai wird sie zudem die Tosca an der Staatsoper Unter den Linden übernehmen.)

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Zirka eine halbe Stunde braucht es, ehe Sonya - von der Breth als halbschwarze Migrantin sprich Aida mit entsprechend künstlicher Gesichtsbräune gedeutet; ihre zwei Medea-Söhnchen (Malik Bah & Toyi Kramer) sind noch schwärzer aber auch natürlicher als ihre Mutter pigmentiert - die offene Garagenlandschaft Martin Zehetgrubers mit herumstehenden Holzbehältnissen (?) und zugeschnürten als wie eingewickelten Gemälden (??) wie von ungefähr betritt. Zuvor gaben dortselbst bereits die SängerInnen Elsa Dreisig, Iain Paterson und Charles Castronovo ihre drei Nebenrolleneinstände als Glauke, Kreon, Jason...

Sonya muss jetzt erst mal ein paar Sätze auf Französisch sprechen - Breth sowie ihr Dramaturg Sergio Morabito hätten lt. eignen Angaben die Zahl der Zwischendialoge (reiner Sprechtext!) um ein Maximum gekürzt; trotzdem nervt es so Sprachunkundige wie mich ganz unerbittlich, dieses kunstvolle Gequatsche zu ertragen. Warum tun das OpernregisseurInnen niemals begreifen wollen, dass es unerträglich für die Ohren ist, wenn OpernsängerInnen, die das hohe Sprechtheater-Schauspielern ja nie gelernt haben, sich dementsprechend "mühen" müssen? Es zielt völlig gegen ihre OpernsängerInnen-Grundnatur! und klingt im Umkehrschluss voll Scheiße!!

Die Medea-Sonya macht dann ihren mickrigen Sprechstimmen-Ersteindruck voll wett, indem sie ihre erste große Arie ("Ihr seht die unglückliche Mutter Eurer Söhne") in das Saalrund schmettert; außerdem verpasst sie Jason-Charly eine Ohrfeige und boxt ihm kurz mal in die Eier, dass er kaum noch stehen kann. Nicht schlecht, Frau Specht!!

Sie steigert sich von Mal zu Mal; ihr vollmundiger Mezzo greift im Raum, ihr sängerisches Selbstbewusstsein hat schon Glut, ihr Sound ist warm, ihr Lautpegel nach oben offen...

Keine/r der Besetzungsliste, die/der ihr das Wasser reichen kann! (Vielleicht noch Marina Prudenskaya, deren fagottbegleitete Neris-Arie vom "Ach, wir werden unsre Schmerzen teilen" gänsehautmäßig berührt.)

Im dritten Akt steigert sich Sonya in die große/n Wahnsinnsszene/n - Breth hat sie hierfür, und explizit zur ganz besonders intensiven Widergabe ihres Wahnsinnsszenen-Sprechtextes, mit einem unsichtbaren Mikro ausstaffiert, sodass das Sonya-Flüstern nochmal zusätzlich den wunderbaren Wahnsinnsstatus bis zum Schluss pontiert. Genialer Streich.

Der Sonya-Jubel ist erwartbar groß-gigantisch.

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Cherubini ist nicht unbedingt das Fach, womit sich Barenboim besonders auszukennen scheint - die Staatskapelle Berlin folgt seinen Wunschvorstellungen entsprechend irritiert; wahrscheinlich wären diesmal Mark Minkowski oder René Jacobs, beispielsweise, die bedeutend bess'ren "Anwälte" gewesen. / Bis zur Pause hängt der Staatsopernchor (Einstudierung: Martin Wright) den Musikern oft hinterher. // Und Breth, die eigentlich mit "ihren" Opern meistens immer falsch beraten ist, zumindest in der Hauptstadt, muss sich ein paar Buhs gefallen lassen.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 08.10.2018.]

MEDEA (Staatsoper Unter den Linden, 07.10.2018)
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Inszenierung: Andrea Breth
Bühnenbild: Martin Zehetgruber
Kostüme: Carla Teti
Licht: Olaf Freese
Choreinstudierung: Martin Wright
Dramaturgie: Sergio Morabito
Besetzung:
Médée ... Sonya Yoncheva
Jason ... Charles Castronovo
Créon ... Iain Paterson
Dircé ... Elsa Dreisig
Néris ... Marina Prudenskaya
Erste Begleiterin der Dircé ... Sarah Aristidou
Zweite Begleiterin der Dircé ... Corinna Scheurle
Kinder von Jason und Médée ... Malik Bah und Toyi Kramer
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Premiere war am 7. Oktober 2018.
Weitere Termine: 12., 17., 20., 25., 28.10.2018

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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