STILLE RESERVEN mit Clemens Schick

Filmkritik Science-Fiction im Wien der ungewissen Zukunft

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Vor ca. sieben Jahren sah ich Clemens Schick das erste (und bis dahin einzige) Mal als Theaterschauspieler - da performte er den Koltès-Monolog Die Nacht kurz vor den Wäldern bei spielzeit'europa im Haus der Berliner Festspiele; das war schon stark und bleibt bis heute unvergesslich!

Nunmehr tat ich seinen Namen als Verkörperer des Vincent Baumann, eines fiktiven Agenten für den Verkauf von Todesversicherungen, in diversen Film-Vorschauen zu Stille Reserven (Drehbuch und Regie: Valentin Hitz) entdecken und wollte ihn "dort" erneut besichtigen; der Streifen läuft bereits seit über einem halben Jahr in Österreich, nun steht er endlich auch für deutsche Kinos zur Verfügung.

Eingebetteter MedieninhaltAlso:

"Der Versicherungsagent Vincent Baumann, ein kalter Karrierist, Höriger eines gnadenlosen Systems, wird selber Opfer der Konzerne, die er vertritt. Degradiert zum Handlanger, strengt er sich verbissen an, zurückzukommen auf den Arbeitsmarkt, kämpft um den Aufstieg. Dabei erkennt er, dass es noch andere Werte gibt als Einkommen und Erfolg. Und er entscheidet sich gegen seine bisherige Weltanschauung, für einen anderen Menschen, für Lisa Sokulowa. Eine Zukunft haben die beiden nicht. Aber ein kleiner Triumph bleibt ihnen gegen die Übermacht des herrschenden Systems." (Quelle: camino-film.com)

Schick lässt sich demnach, und nachdem ihn Marion Mitterhammer (als Konzern-Abteilungsleiterin Diana Dorn) wegen der ungenügenden Erbringung seiner Leistungen zwar nicht entließ aber umso entwürdigender degradierte, mit Lena Lauzemis (als Lisa Sokulova, einer Aktivistin) ein - die ist hingegen, so wie er dann eigentlich auf sie, im Auftrag ihres Aktivistenteams, auf ihn letztendlich angesetzt; ein Katz-und-Maus-Spiel im dystopisch anheimelnden Wien der ungewissen Zukunft:

Die Gesellschaft dorten "funktioniert" nur noch als Wechsel-Spiel zwischen Normalsterbenden (mit Totenversicherungsschein) und verstorbenen Un-Toten (ohne Totenversicherungsschein); die Letztgenannten stehen dem System zur x-beliebigen Ausschlachtung ihrer künstlich weiterhin am Leben gehaltenen Organe, Körperteile usw. allumfassend zur Verfügung. Jedesmal wenn also in der Donaustadt wer auf normalem Wege stirbt und keinen Totenversicherungsschein aufweist, rückt unverzüglich gleich die Cobra an, um sie aufs Schnellste sozusagen einzurfrieren und zum stabsmäßigen Abtransport ins Kühllager zu eskortieren. Das scheint schon - als zivilisatorische Weltuntergangsvision - arg auf die Spitze zugetrieben, und es deprimiert zugleich in seiner destruktiven Ausweglosigkeit.

In diesem grau gehalt'nen Film wird daher, logisch, nicht gelacht.

Ja und obgleich es wenigstens dann eine (sich zwei-, dreimal wiederholt habende) Sex-Szene zwischen Schick/Lauzemis, dem ungleichen Protagonisten-Paar, zu sehen gibt, strahlt keinerlei erbauende Erhellung hiervon aus; normaler Weise macht doch Sex vielleicht sogar den depressivsten Typen bisschen Spaß, oder?

Alles in Allem (trotzdem): Gut gestyltes Nachempfindungspendel zwischen Orwells 1984 und Franz Kafkas Der Prozess.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 20.04.2017.]

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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