SURCOS von Simon Holt und Bruckners Achte

Konzertkritik Sir Simon Rattle & Berliner Philharmoniker kombinierten Kurzes mit Langem

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Gestern Abend führten die Berliner Philharmoniker zwei - von der jeweiligen Dauer her - extrem sich gegenüberstehende Kompositionen auf: und zwar die nicht mal 8minütigen Surcos von Simon Holt (geb. 1958) und die über anderthalbstündige 8. Sinfonie von Anton Bruckner (1824-96). Die Idee stammte von Simon Rattle, der die Uraufführung jener Miniatur quasi als "Appetithappen" zur nachfolgenden Maximalbewältigung eines der dickleibigsten Sinfoniebrocken in der Musikgeschichte verstanden haben wollte; und obzwar man, kaum dass Surcos in die abschließende Nachklangphase überging, nicht richtig wusste, was man da soeben noch gehört zu haben meinte, blieb doch wenigstens das kurze Bratschen-Solo in diffusester Erinnerung und auch, dass mehrmals laut die Peitsche knallte.

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"'Mich hat das Wort surcos fasziniert; ich hoffte, das Stück könnte Spuren legen und frische Keime tragen für neue Anfänge in meinem Komponieren'", hätte der Komponist gesagt.

Und: "'Es ist sehr heikel, das richtige Bewegungstempo zu finden, das gilt für jedes kürzere Stück. Zugleich aber sollte es recht spontan herüberkommen.' Über die gesamte Strecke von 210 Takten hinweg behält Holt ein Dreiviertelmetrum im gleichmäßigen, zügigen Puls bei, obwohl die Tempovorschrift 'Largo: quasi Sarabande' lautet. Und tatsächlich scheint die Musik relativ langsam zu beginnen; liegende Klänge und luftige Texturen herrschen vor, nur punktuell werden sie durch unwirsche Sforzati gestört. Es dauert eine Weile, bis die flatternde Staccatofigur der Piccoloflöte aus dem allerersten Takt auch andere Instrumente ansteckt. Sukzessive beleben sich Melodik, Bewegung und Dynamik, während sich die rhythmische Energie zum tänzerischen Sog verdichtet."

(Anselm Cybinski auf berliner-philharmoniker.de)

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Bruckners Achte (die der Komponist dem österreichischen Kaiser Franz Joseph dedizierte) übersteht der sich von ihrer allgewaltig-unverschämt daher kommenden Machart eingeschüchtert glaubende Zuhörer wohl am besten dann, wenn ihm von der Orchester- resp. Dirigentenseite eine Art von Subgeschichte zusätzlich gereicht würde - dass er dann irgendeine Richtung wüsste, also wohin er mit seinen blindenstockgeführten Sinnen hinzustochern sich entschlösse. Diese stückbegleitende und gut gemeinte Assistenz vermochten - lt. der eigenen Erfahrungen aus letzten Jahren - insbesondere Janowski, Blomstedt oder Barenboim zu leisten. Rattle konnte/kann, im Falle Bruckner, so was leider selten. [Ich erlebte ihn zum allerersten Male überhaupt, als er mit "seinem" damaligen City Birmingham Symphony Orchestra mit der Siebten im Gewandhaus zu Leipzig gastierte; da war Rattle allerdings noch sehr, sehr jung; und Bruckner hörte sich zu dieser Zeit bei ihm noch leicht & luftig an.]

Was überdeutlich hör-/wahrnehmbar war: Die Horngruppe von den Berliner Philharmonikern (mit Solo-Hornist Stefan Dohr) zählt zu den allerbesten ihrer Art, und zwar weltweit. Nicht minder exklusiv Trompeten und Posaunen, Schlagwerk, Becken (!) - und man sieht allein schon wegen dieser Aufzählung: das Lauttösende spielte/spielt bei Bruckner selbstverständlich immer wieder eine Hauptrolle; ganz unabhängig davon, dass dann die Finali meistens "immer nur" tatütata'ig aufwallen, ehe der ganze Apparat aufs Donnerhafteste in einem anhaltenden Schlussakkord sich quasi nochmals männlich aufbäumt oder irgendwie dann halt zusammenkracht.

Großjubel - völlig abseits unsrer kleinen Mäkelei.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 6. Mai 2017.]

BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 05.05.2017)
Simon Holt: Surcos (UA)
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 8 c-Moll (Fassung von Robert Haas)
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Sir Simon Rattle

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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