Teodor Currentzis dirigierte TRISTIA

Konzertkritik Beeindruckende Performance mit dem musicAeterna Chorus of Perm Opera (im Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin)

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Teodor Currentzis ist derzeit mit "seinen" musicAeterna Chorus & Orchestra of Perm Opera auf Deutschlandtournee. Gestern Abend machten er und sie (der Permer Chor sowie ein knappes Dutzend Permer Instrumentalisten) einen nicht nur Aufhorchen sondern auch Aufsehen erregenden Abstecher zum Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie.

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Der über 33-sätzige Chor-Zyklus Tristia von Philippe Hersant (geb. 1948) stand auf dem Programm:

"2004 startete in Clairvaux das Festival Ombres et Lumières (Schatten und Licht), dessen Leiterin die wechselvolle Historie der Abtei thematisierte. Sie gründete Schreibworkshops für die Gefangenen, ließ deren Texte in Musik und Szene setzen. 2012 vertonte Philippe Hersant für das Festival 13 Häftlingsgedichte, die unter dem Titel Instants limités auf CD eingespielt wurden. Der Komponist berichtet: 'Teodor Currentzis hat sie gehört und mich gebeten, diese Arbeit auf ein Werk von 75 Minuten auszudehnen. So wurde Tristia geboren.'"

(Quelle: berliner-philharmoniker.de)

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Das im Juni 2016 in Perm uraufgeführte Chorwerk besteht nunmehr (nachdem es sein Komponist um 20 Einzelsätze ergänzte) aus sechs sog. "Kreisen", ähnlich denen aus der Göttlichen Komödie von Dante; und tatsächlich gibt es auch so eine Art von "Höllenkreis" (Nr. 26 bis 30), in dem scheinbar keinerlei Entrinnen möglich ist - die ChorsolistInnen sind hier besonders angespannt, ein Teil von ihnen hält ein HADES-Transparent vor sich und zieht mit diesem, während alle andern in Gesang & Schrecken involviert sind, und beinahe viel zu spät vom Publikum bemerkt, in Rang-Höhe zum Ausgang hin...

Die Stimmen und die Stimmgewalt (ob laut, ob leise) dieses Chores sind phänomenal!!!!! Hersant hat ihm und seinem Potenzial eine Palette unendlich verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten angedeihen lassen, und Currentzis "bündelte" das Alles, ließ den Chor als Korpus wie als Individualgestalten aus sich raus agieren; ständig ist er in Bewegung, zieht diverse "Bann-Kreise" um ihn (Currentzis, der partout dann immer in der Mitte des Geschehens steht) und dreht sich um die eig'ne Personalachse etc. pp.

Und sowieso wirkt die Performance choreografisch und aufs Obsessive durchgestylt; mitunter fast um einen Deut zu viel, auch ist es in dem Saal zumeist recht dunkel, obzwar mit den relativ gedimmten Licht- und Farbeffekten eine visuelle Kommentierung des Gehörten nach und nach passiert - unmöglich freilich, eine parallele und vergleichende Lektüre aller dreiunddreißig Kurzgedichte [die das hochvorzügliche Programmheft mit der wunderbaren Werkeinführung Kerstin Schüssler-Bachs bereithielt] vorzunehmen.

Dennoch: Ein dem Anschein nach gewollter emotionaler Maximaleindruck stellte sich ein! Es ging nicht anders, und es tat aufs Unerklärliche elektrisieren!!

Jubel über Jubel hinterher.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 26.10.2018.]

POESIE HINTER GEFÄNGNISMAUERN (Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin, 25.10.2018)
Philippe Hersant: Tristia für gemischten Chor und Ensemble
Michael Meylac, Sprecher
Alexej Choroschew, Lichtregie
Vitaly Polonsky, Choreinstudierung
musicAeterna Chorus of Perm Opera
Mitglieder des musicAeterna Orchestra of Perm Opera
Dirigent: Teodor Currentzis

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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