Terrains erkunden mit Max Hopp

Interview In MY FAIR LADY (an der Komischen Oper Berlin) kann man ihn beispielsweise als Professor Higgins sehen und hören

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Max Hopp in der Berliner Stadtbibliothek der ZLB | Foto (C) Jan Windszus Photography

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In deinem Steckbrief auf der Website von Komische Oper Berlin ist bei "wichtige Regisseure" auch der Name Hans-Joachim Preil zu lesen - da assoziiere ich (als gebürtiger und gelebter Ostmensch) sofort: Herricht & Preil, das legendäre Komikerpaar, wobei der Preil ja höchstwahrscheinlich alle Sketche selber schrieb. Erzähl doch mal, was ist da die Verbindung zwischen ihm und dir?

Max Hopp:
Meine Eltern waren befreundet mit den Preils, die ein Boot hatten, das an unserem Bootssteg lag. Und irgendwann (seitdem ich sechs war, wollte ich nämlich unbedingt Schauspieler werden!) meinte der Preil zu meinen Eltern, er schriebe gerade eine Rolle für mich. Da war ich vielleicht elf und dachte erst, das wäre ein Witz. Aber zwei Jahre später bekam ich eine Rolle in Ferienheim Bergkristall. Preil selbst spielte den Oberkellner Stieglitz. Und ich war schließlich in drei Folgen mit dabei.

Der Preil kannte sich aus mit Sprache - ganz die alte Schule, oder?

MH:
Ja, der Preil war schon eine Ikone, auch was Slapstick und Komik und Sketche betrifft, da war er ja handwerklich unheimlich genau... Irgendwann stellte ich mit meinem Kollegen Pierre Besson, der auch die alten Platten kannte, fest, dass wir die Sketche von Herricht & Preil fast alle auswendig kannten. Wir saßen da mal in der Kneipe und warfen uns die Dinger gegenseitig zu. Und vor zwei Jahren - bei einer Benefizveranstaltung im Roten Rathaus - hatten wir einen Auftritt mit Der Gartenfreund vor einem sehr gemischten Publikum: den Leuten, die das halt schon kannten, und den Leuten aus dem Westen, die das überhaupt nicht kannten.

Und du spieltest...

MH:
...Herricht! Ich sage dir - die Sketche funktionieren nach wie vor, egal vor wem, die gehen wie geschnitten Brot.

Rex Harrison war 55, als er den Professor Higgins in der Musicalverfilmung My Fair Lady spielte - du bist grad mal Anfang 40 und wirst in der laufenden Saison gleich achtzehn Mal in jener Zausel-Rolle zu erleben sein. Die Komische Oper wollte das so. Ein Glücksfall auch für dich?

MH:
Ja, diese Rolle ist ein Riesengeschenk für mich! Das Musical, der Stoff selber, diese wahnsinnig schöne und unglaublich gut durchdachte Musik, und dann erst die Substanz all der Figuren durch die Grundlage von Shaw und die Bearbeitung von Lerner - und speziell Professor Higgins. Da ist unheimlich viel Futter. Und Rex Harrison ist in besagter Musicalverfilmung sozusagen eine von zig Interpretationsmöglichkeiten, die zugegebener Maßen sehr gut ist. Aber was das Angreifen und die Direktheit anbelangt, bietet die Rolle, wenn man sie bei Shaw dann liest, vielleicht noch ein bisschen mehr.

Wie hast du dich auf sie dann vorbereitet?

MH:
Ich habe mich sowohl mit dem Musical als auch mit George Bernhard Shaws Stück Pygmalion, das ihm zugrund liegt, intensiv beschäftigt. Natürlich habe ich mir auch noch einmal die Verfilmung angeguckt - alles so Sachen, nicht um sie dann zu kopieren, sondern um sich erst einmal zu "füllen" mit den Angeboten, Möglichkeiten einer Interpretation.

Es gibt laut der Besetzungsliste alternierend zwei Eliza Doolittles, mit denen du es nacheinander dann zu tun hast...

MH:
...Katharine Mehrling...

...und, als Zweitbesetzung, Winni Böwe.

MH:
Für mich ist das auch ganz neu, weil ich noch nie vorher in dieser Intensität mit wechselnden Besetzungen gearbeitet habe. Im Weißen Rößl oder Eine Frau, die weiß, was sie will! spiele ich mit Dagmar Manzel, die du ja nicht einfach austauschen kannst - ja und ich weiß daher nicht, wie das funktionieren wird oder wie sich das anfühlt dann beim Spiel mit anderer Besetzung (ich hasse das Wort "Zweitbesetzung" oder "B-Besetzung").

Apropos du und Dagmar Manzel: Ihr habt auf dem Zweitgleis den Gesang für euch entdeckt. Jetzt zählt ihr unauslöschbar zu den Hauptstars dieses Hauses - wenn dann einer von euch krank würde, müsste z.B. Eine Frau, die weiß, was sie will! ersatzlos ausfallen. Wie kamst du eigentlich dann zur Musik?

MH:
Das fing relativ früh an. Ich hatte, wie so viele junge Menschen, Gitarre gespielt und Lieder geschrieben und hatte schon immer Spaß am Singen und am Musizieren. In der Schauspielschule mochte ich auch gern diese Chansons - du hast ja in der Schauspielschule keine direkte Gesangsausbildung, es werden eher Liedinterpretationen geschult. Ich hatte also immer eine Affinität dazu und vielleicht auch ein bisschen Talent. Meine erste Arbeit in Bremen war dann Anatevka (Der Fiddler auf dem Dach) - da war ich noch Student, und der Dozent, der Anatevka inszenierte, hatte mich gefragt, ob ich den Perchik spielen würde. Und das war dann gleich in der Oper. Mein erstes Engagement... Ich habe also keine "richtige" Gesangsausbildung. Um so ehrenwerter und erstaunlicher ist es, an einem solchen Haus wie der Komischen Oper Berlin, wo es großartige Sänger im Ensemble gibt, zu singen.

Sag etwas zu Barrie Kosky!

MH:
Er versucht eine Mischung aus den einzelnen Handwerklichkeiten im Sinne einer Inszenierung, im Sinne der Schnelligkeit eines Spieles zu machen. Schauspieler sind ja eher dazu in der Lage, schneller zu spielen und mit Texten umzugehen im rein Sprecherischen als Opernsänger. Die sind dafür halt in den Gesängen viel geschulter. Und wenn man das dann mischt in einer Inszenierung, kann das wunderbar zusammengehen, man kann beide Seiten - gerade in der Operette und gerade im Musical - unheimlich schön somit bedienen. Und dafür hat Kosky ein großartiges Händchen.

Kurt Weills Der Kuhhandel war quasi deine erste Zusammenarbeit mit ihm als Regisseur, da konnte man dich richtig rampensaumäßig erleben...

MH:
Ja, es ist ein unheimlich schönes Arbeiten mit ihm und mit einer solchen Selbstverständlichkeit, die keine Annäherungszeit braucht. Er ist ein so wunderbarer Zuschauer. Es ist ja so: In der Probe möchte man gern einen Zustand erreichen, wo man alles, was einem so in den Kopf kommt, eben ausprobieren will. Dazu brauchst du aber einen Raum, in dem man sich alles getrauen, wo man loslassen oder wo man sich gehen lassen kann. Denn Proben heißt auch, die peinliche Momente und die falschen Wege, dieses Nichtvermögen und das Nichtklappen, im Nachhinein selbstkritisch zu erkennen und zu suchen, wo die falschen Wege waren, um letztlich die richtigen zu finden. Und bei Barrie getraust du dich halt alles. Der guckt derart liebevoll und nimmt sich von dem, was ihm augenblicklich so gefallen haben könnte, dies und das heraus.

Ich sah dich vor zehn Jahren erstmals auf der Bühne, wo du den Franz Biberkopf in Döblins Berlin Alexanderplatz gespielt hattest. Frank Castorf verfrachtete seine Romanadaption in den zu dieser Zeit bereits total entkernten Palast der Republik... Du warst ja lange Jahre an der Volksbühne. Wann gab es da den Bruch, oder wie kam es, dass du plötzlich nicht mehr dort zu sehen warst?

MH:
Das war genau zum Zeitpunkt, als ich Rößl gemacht hatte. Meine letzte Arbeit an der Volksbühne fand unter Gotscheff - Die Chinesin, eine Godard-Collage - statt. Und mit dem Spielen hier, Im weißen Rößl in der Komischen Oper, hörte das Spielen an der Volksbühne auf. Die Vorstellungen waren abgelaufen. Und ich hatte zu der Zeit beschlossen, dass ich auch noch andere Terrains für mich erkunden möchte, und die hatten mit Drehen, Filme drehen, selber Filme drehen, aber auch in Filmen zu spielen, Fernsehen, Kino zu tun. Und wenn du fest an einem Haus gebunden bist - ich war ja über fünf oder sechs Jahre ständiger Gast an der Volksbühne und habe zwei bis drei Arbeiten pro Spielzeit dort gemacht - und sechs bis acht Wochen pro Inszenierung dort probst, und das dreimal im Jahr, bleibt nicht viel Zeit zum Drehen oder für andere Sachen... Es gab also überhaupt keinen Bruch, es gab nur so ein stillschweigendes Übereinkommen, dass man sich irgendwie los lässt, entfernt. Ich gucke von Weitem natürlich intensiv auf die Volksbühne, und ich schaue mir auch Inszenierungen dort weiter an. Das, was ich dort gelernt habe, vor allem von Frank und Gotscheff, wende ich ja hier und heute an. Ich möchte diese Zeit im Nachhinein nicht missen.

Drohte sie dich nicht auch zu verschleißen, denn ich meine - in den anstrengenden Produktionen von dem Castorf immer volle Pulle mitzumachen, sowas hält man doch als Schauspieler auf Dauer wohl nicht aus?

MH:
Das hältst du auch nicht lange aus. Ja und das hatte auch mit diesem Richtungswechsel bei mir zu tun, den ich brauchte. Meine Sehnsüchte als Künstler, als Schauspieler sind ja nicht nur in diese eine Richtung fokussiert. Was ich mag an diesem Theater, ist die Körperlichkeit von Castorf, die bis zur Erschöpfung geht, und über die Erschöpfung hinaus sucht er (so meine ich ihn verstanden zu haben) einen bestimmten "ehrlichen" Ton, einen ungespielten Ton. Über die Verausgabung entsteht das Nichtspiel, und das ist das, was er sucht (glaube ich). Man muss sich quälen wollen, und ich habe mich auch viel gequält und dort echt viel geleistet, und irgendwann war es eben so, dass man sagte "jetzt muss mal was andres her" - ich hätte das auch weiter so nicht durchgehalten.

Castorfs Brüder Karamasow dauern mindestens sechs Stunden, auch für Zuschauer kein Zuckerschlecken, kann ich selbst bestätigen... Was sagst du übrigens dazu, wie jetzt die Abwicklung des Hauses vor sich geht? Stichwort Kultursenat.

MH:
Da wird ja sehr viel diskutiert. Ich glaube, dass es für ein Theater wie die Volksbühne, das eine unheimlich lange Tradition hat, schade wäre, wenn es kein festes Ensemble mehr gäbe. Und alles das, was da angeblich neu kommen soll, ist längst schon da gewesen: Videokunst, Installationen, Schlingensief, Rockkonzerte, Tanzabende, Kresnik, Riesenschweinereien, poetische Sachen... Dass ein Intendant irgendwann gehen muss, ist in jedem deutschen Theater so. Wie der Wechsel aber von Seiten der Politik kommuniziert wurde, ist unglücklich gelaufen. Ich persönlich hätte es lieber gesehen, wenn sich die Volksbühne im Sinne ihrer Tradition als Sprechtheater neu „erfindet“. Denn eins ist klar: Castorf hat die Volksbühne geprägt. Die Volksbühne ist Castorf, und Castorf ist die Volksbühne. Es wird für jeden Nachfolger schwer.

Der Tag hat 24 Stunden und beginnt zumeist, wenn's draußen hell wird - Morgenröte im Aufgang... Neulich sah ich euern schönen Film im Kino Brotfabrik. Wie seid ihr, du und deine drei Filmmitstreiter Jan Korthäuer, Ronald Steckel und Klaus Weingarten auf jenen Mystiker gekommen? Jacob Böhme lebte vor 400 Jahren, und man kennt ihn hierzulande nicht oder fast nicht.

MH:
Er gehört zu den großen Geistesheroen, die wir haben, und ist weitegehend unbekannt. Ronald Steckel ist der Ideengeber dieses Films, er hat sich über 30 Jahre mit Jacob Böhme befasst, mehrere Hörstücke über ihn gemacht und kennt dessen mehrere tausend Seiten fassendes Werk sehr gut... Böhme ist ja nicht nur ein Philosoph, sondern auch Mystiker, ein Seher, ein Wissender, ja und er hat das, was er gesehen hat, bis in die Urtiefen des Unsichtbaren aufgeschrieben. Wie er sagte, zum "Memorial", zum Erinnernkönnen, und aus seiner Art des Schreibens ist auch zu entnehmen, dass er sicherlich wusste, dass er auch für andere schreibt. Es gibt da oft eine direkte Ansprache an den Leser, "o du blinder Mensch"... Und diese Texte und das, was sie mitteilen, sind hochaktuell - gespeist aus dem Christentum, aber mit einem wesentlichen Unterschied zum damals kirchlich gepredigten Christentum, indem er sagt, "Gott ist in dir", du kannst ihn also finden, wo du willst: auf der Wiese, im Wald, auf deinem Stuhl, wo du gerade sitzt, überall.

Jetzt dauert euer Film knapp 80 Minuten, es gibt einen einzigen Darsteller, der Jacob Böhme sein könnte, es wiederum nicht ist und auch nicht sein soll, und du sprichst ganz ruhig und überlegt den einen und den andern Text - was war für die getroffne Auswahl der von dir gesprochnen Böhme-Texte ausschlaggebend?

MH:
Die besorgte Ronald Steckel. Wir hatten ja schon vorher eine Vorstellung davon, wie dann die Bilder sein sollten. Wir drehten also die Bilder und suchten parallel die Texte dazu raus. Und Ronald war nun mal der einzige von uns, der einen großen Überblick zu Böhmes Werk besaß und so auch wusste, dass es viele Texte von Böhme gibt, die natürlich in der heutigen Zeit völlig unverständlich sind... Wir sind übrigens die ersten, die in künstlerischer Form versucht haben, uns Böhmes Texten zu nähern, sie aus ihrer rein geisteswissenschaftlichen Betrachtung zu lösen, um sie begreifbarer, erfühlbarer, verstehbarer zu machen. Die Textauswahl sollte eingängig sein, sodass man sich mit ihr identifizieren kann und sich von ihr direkt angesprochen fühlt. Es gibt bei Böhme so einzelne Sätze wie etwa "machst du einen Engel aus dir, so bist du das" oder "machst du einen Teufel aus dir, so bist du das auch", die von einer so schlagenden Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit sind, dass es direkt vom Herzen verstanden wird.

Euer Film schreit geradezu danach, dass man ihn sich ein zweites oder drittes oder wie viel Mal auch immer anschaut - eigentlich gehört er daher unbedingt auf DVD gepresst oder, dass man ihn wenigstens vom Web herunterladen könnte...

MH:
Ja, es gibt tatsächlich Pläne, nächstes Jahr wird man konkreter sein.

Abschließende Scherzfrage: Wenn der Kosky übernächstes Jahr in Bayreuth seine Meistersinger inszeniert, nimmt er dich dann als Beckmesser, den du ja auch schon an der Volksbühne gegeben hattest, mit?

MH (lacht):
Ich glaube, er würde sich da keinen Gefallen tun, wenn er das machte, und ich würde in Bayreuth gesanglich nicht bestehen, obwohl - das wäre wirklich ein großer Traum. Ich habe ernstlich darüber nachgedacht, ob ich nochmal Gesang studiere, damit ich Opern, die ich selbst sehr liebe, möglicherweise auch mal singen könnte.

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[Das Gespräch mit Max Hopp fand am 9. November 2015 in der Fritzi-Massary-Lounge der Komischen Oper Berlin statt.]


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Max Hopp und Dagmar Manzel in Eine Frau, die weiß, was sie will! an der Komischen Oper Berlin | Foto (C) Iko Freese/drama-berlin.de

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 27.11.2015 auf KULTURA-EXTRA]

Termine mit Max Hopp in der Komischen Oper Berlin:

My Fair Lady
28. November 2015 (Premiere)
5. / 9. / 15. / 27. / 31. Dezember 2015
15. Januar 2016
8. / 20. Februar 2016

Eine Frau, die weiß, was sie will!
12. Januar 2016
7. / 12. Februar 2016
4. März 2016

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

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