THIS IS NOT A SWAN SONG von/mit gamut inc

Neue Musik Zitate aus Ernst Jüngers LETZTE WORTE-Sammlung als "Musiktheater über das Ende"

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Schwanengesang ist das, was so im herkömmlichen Sinn als "letzte Worte" eines (meistens hochberühmten) Mitmenschen von uns verstanden wird. Man nimmt es nachgerade wahr als hochgeistige, hochsinnige also dementsprechend hochbedeutungsvolle Schlusssentenzen über unser aller schnödes Leben, insbesondere gibt es mehr Auskunft über jene, die es letztlich losgetreten hatten - auf Musikebene existieren da z.B. solche tollen Werke wie der Schwanengesang SWV 482-494 von Schütz oder der Schwanengesang D 957 von Schubert. Das besagte Wort hat auch eine sich optisch aufdrängende Assoziation: Die unsterbliche Ballerina Anna Pawlowa galt über ihren Tod hinaus als Inbegriff des "sterbenden Schwans" - für sie hatte der Choreograf Michel Fokine seiner Zeit das gleichnamige Tanz-Solo ("Le Cygne" aus Karneval der Tiere von Saint-Saëns) kreiert; das allbekannte Video wird uns dann zum Ende der Performance This Is Not a Swan Song nach und nach bis zur totalen Unerkennbarkeit hinweggepixelt...

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Ernst Jünger (1895-1998) schrieb zu seiner legendären Karteikarten-Sammlung mit den unzähligen Toten-Texte-Topzitaten, worauf sich die Macher der Performance stützten, das hier: "Diese letzten Worte als Sammlung gleichen einer Sammlung von Irrtümern und ungenauer Überlieferung." Ja und der seine beiden schönen Hände aus dem schwarzen Dress hervorzaubernde und mit seinen weißen Glasaugenattrappen hoch beeindruckende Jordan Rountree als wie auch der achtstimmiger Chor mit Gina Walter, Dora Osterloh, Estelle Solem, Ursula Kraemer, Marcelo de Souza Felix, Johannes Wedeking, Thorbjörn Björnsson, Lorenz Rommelspacher sowie Eva Marti (Chorleitung: Antoine Daurat) bedienen sich nun in der mannigfachsten Art jenes Hervorzitierbaren; das Allermeiste hieraus ist natürlich wegen all der klanglichen Verfremdungskünste kaum bzw. nicht zu identifizieren.

Optisch ist der kurzweilige Abend in drei sauber voneinander abgetrennte Ebenen gegliedert:

Links (im Dunkeln) stehen die ChoristInnen vor jeweils einem Mikrofon, d.h. dass sie dann auch (was wiederum sehr deutlich hörbar wird) jede/r für sich externe, individuale Sangesarbeit leisten; das Mehrstimmige klingt hochkomplex. z.T. hochkompliziert - wie sehr, bemerkt man auch daran, wieoft jede/r dann zwischendurch zur Stimmgabel zu greifen sich genötigt sieht.

Die Mitte ist dem pantomimisch sich bewegenden und zweisprachig hervorzitierenden Performer vorbehalten; er wird unterschiedlich stark beleuchtet und mit videokünstlerischen Einspielungen übergittert, überblättert, überstrahlt. Mit hie und da positionierten und verschieden aufglimmenden, aufblitzenden Glühlampen werden diverse Schnittpunkte bzw. Übergänge von der einen in die andre Szene visuell verdeutlicht.

Rechterseits ist die Gesamt-Apparatur des für den Klang-Backround Erforderlichen aufgestellt - diese wird dann von Marion Wörle (Elektronik), Maciej Sledziecki (Gitarre) und Michael Vorfeld (Perkussion, Saiten, Glühlampen) beeindruckend bedient.

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Das Alles hat was Sphärisch-Transzendentes und erlebt sich stellennweise wie inmitten einer alptraumhaften Unauswegbarkeit. Man konzentriert sich zwar nicht mehr und weiter auf die vielzitierten "letzten Worte" irgendwelcher Leute - dafür wird der innervisuelle Fokus mehr denn auf die unausweichlich vor uns hinlauernden Individualtode gelenkt, was wiederum dann "tröstlich" stimmt, obgleich auf unverkennbar schräge Weise.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 19.01.2018.]

THIS IS NOT A SWAN SONG (Ballhaus Ost, 18.01.2018)
Musiktheater von gamut inc über das Ende

Komposition, Konzept und Bühne: gamut inc
Libretto: Leslie Dunton-Downer
Performance: Jordan Rountree
Elektronik: Marion Wörle
Gitarre: Maciej Sledziecki
Perkussion, Saiten und Glühlampen: Michael Vorfeld
Chor: Gina Walter, Dora Osterloh, Estelle Solem, Ursula Kraemer, Marcelo de Souza Felix, Johannes Wedeking, Thorbjörn Björnsson und Lorenz Rommelspacher sowie Eva Marti
Chorleitung: Antoine Daurat
Klangregie: Robert Nacken
Licht: gamut inc & Michael Vorfeld
Bühne, Kostüm & Maske: gamut inc
Premiere im Stadtgarten Köln war am 7. November 2017.
Berliner Premiere: 18. Januar 2018
Weiterer Termin: 20.01.2018
Ein Projekt von gamut inc.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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