Im Festspielhaus von Baden-Baden (wo seit dreivier Jahren die nach dorthin "exportierten" Osterfestspiele mit den Berliner Philharmonikern - ganz parallel stattfindend zu dem schwesterlichen Herkunftsevent an der Salzach, wo dann ebenfalls seit dreivier Jahr'n die Staatskapelle Dresden, die die Hauptstädter, die ihrer Zeit dann keine Lust auf Salzburg mehr verspürten, sozusagen "abgelöst" hatte, als Residenzorchester triumphiert - gefeiert werden) konnte man sich dieses Jahr, falls man dann als besuchende Privatperson für eine Eintrittskarte zwischen 109 und 350 Euro hätte blechen wollen oder können, Tristan und Isdolde zugemüte führen; nun, das ist schon eine dicke Stange Geld.
Aber gottlob geht es (daheim ist halt daheim) auch "etwas preiswerter" - obgleich unter dem Vollverzicht von Inszenierung, Bühne und Kostüm; doch wer das alles unbedingt nachträglich noch erleben wollen würde, könnte es an der New Yorker MET oder (nicht ganz so weit) am Warschauer Teatr Wielki irgendwann mal tun...
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Wer von den vielen hochgerühmten Wagner-Heroinen dieser Tage ist nun eigentlich DIE allerbeste von den besten Vorzeige-Isolden dieser Welt? Wir wissen es - wohl bis zum Ende unsrer Tage - leider nicht und geben somit kühn zu Protokoll: DIE beste von den allerbesten Vorzeige-Isolden gibt es nicht! Sondern:
"Nur" Beispiele - mal gute, mal was bessere, mal schlechte, mal noch schlechtere... Es ist und bleibt ein Kreuz mit dieser ausladenden Wagnerischen Sangeskunst.
Die Niederländerin Eva-Maria Westbroek stemmte gestern Abend, bei und mit Sir Simon Rattle inkl. den Berliner Philharmonikern, die Frauenhauptrolle in Richard Wagners fünfstündiger "Handlung in drei Aufzügen". (Sie war schon oft mit Rattle aufgetreten - wir erinnern uns z.B. an Sieglinde (ausWalküre), Katja Kabanowa oder Manon Lescaut.) Sie ist von stattlichen Statur, wirkt bodenständig also uneitel, hat einen raumfüllenden und auch ofenwarmen Mezzo, und sie weiß sich kräftemäßig-selbstbewusst gegen die "Feind-Front" hinter sich vibrierend zu behaupten - - womit wir sogleich beim Hauptthema unsrer Konzertbesprechung sind, nämlich der hörerischen Allgewalt des Tristan-musizierenden Orchesters; das klang in der Tat (fast durchgehender Weise) in doch selten so vernomm'ner Voll- und Derbheit, dass einem dann schon die Ohren wackelten. Und nur die lautesten Wagner-Heroen und Wagner-Heroinen hätten da Chancen gegenanzukommen, daher scherzten wir soeben von der "Feind-Front" sprich Orchester. Also engagierten Rattle und die Philharmoniker entsprechend stark-robustes Personal; der sog. Liebestod (zum Schluss des anstrengenden Stücks) kriegte durch Westbroek beispielsweise einen derartigen Starkrobustheitsgrad verliehen, dass man hätte meinen können, nicht Verklärung resp. Todessehnsucht herempfunden zu bekommen sondern einer Kampffitnesslektion mit anschließenden "Sayonara Sonne"-Rufen beigewohnt zu haben: grauenvoll!
Für klangliche Aufhellung sorgte Bariton Michael Nagy, der durch die ganz und gar entwaffnend-impulsive Darstellung des Kurwenal (bei einzigartig fulminanter Textverständlichkeit) der Rolle bisher ungeahnten Liebreiz einzuflößen wusste: wunderbar!
Der Tristan-Sänger Stuart Skelton hielt von Anfang bis zum Ende durch; auch tat sich seine anheimelnde und nicht allzu aufgeregte Stimme mit der Stimme seiner Partnerin fast ideal ergänzen: respektabel.
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In Berlin wird Tristan und Isolde überhaupt nicht selten aufgeführt. Die beiden großen Opernhäuser haben ihn im Repertoire, vor ein paar Jahren gab es schon mal eine konzertante Aufführung unter Marek Janowski mit dem RSB, wir fassten sie zu seiner Zeit als "Tristan light" zusammen...
Jeder weiß, dass die Berliner Philharmoniker die Besten aller Besten waren, sind und bleiben. Es obliegt natürlich einzig ihnen resp. ihrem Dirigenten, wie sie ein Musikwerk demonstrieren, und von uns aus gern - zur Abwechslung mal - als Getöse; wem's gefällt.
[Erstveröffentlichung auf KULTURA-EXTRA am 1. April 2016]
TRISTAN UND ISOLDE (Philharmonie Berlin, 31.03.2016)
Konzertante Aufführung
Eva-Maria Westbroek, Sopran (Isolde)
Stuart Skelton, Tenor (Tristan)
Sarah Connolly, Mezzosopran (Brangäne)
Michael Nagy, Bassbariton (Kurwenal)
Stephen Milling, Bass (König Marke)
Thomas Ebenstein, Tenor (Hirte, Seemann)
Roman Sadnik, Tenor (Melot)
Simon Stricker, Bariton (Steuermann)
Herren des Rundfunkchors Berlin
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Sir Simon Rattle
Kommentare 2
Gemessen an der Zahl der Fortissimostellen sind die Lärmstellen bei Wagner wie etwa das (im Übrigen wunderschön musikalisch eingebettete) Eisengehämmere von Nothung eher selten, insbesondere im Tristan. Ich nehme also an, mit Getöse sind hier die lauten orchestralen Einzelstimmen, zB Bläsersätze gemeint (in den frühen Werken ist das Jubeln und Auftrumpfen schon manchmal grenzwertig). Die extreme Dynamik bei Wagner, für die es allerdings gute Gründe gibt, ist ein unvermeidliches Grundproblem dieser Musik, die für die Bühne geschrieben ist. Heutige Aufnahmetechnik bietet enorme Möglichkeiten, das Problem zu entschärfen, sie hätte den Meister sicher glücklich gemacht. Allerdings müßte man die Technik weniger im Aufnahmestudio, sondern vor allem in Opern-, aber auch in Konzertaufführungen (wo das Problem weitaus beherrschbarer ist) einsetzen, vielleicht kommt das einmal. Das Orchester zurückzuhalten, um die vokalen Stimmen nicht zum Übersingen zu zwingen, ist sicher keine Lösung, ebensowenig wie die Dynamik insgesamt zu senken. Also: Toningenieure an die Front der Schallerzeugung.
Wenn es Simon Rattles Konzept war, das Orchester unbeirrt von den Nöten der Vokalisten die Musik sprechen zu lassen, kann man dem doch einiges abgewinnen. Schönberg hat im Pelleas die ähnlichen Rollen nicht mehr singen lassen, in der Erwartung hat er den dramatischen Gesang zurückgeholt. Aber erst diese von der Tonalität befreite Musik wird der mit Wagner und der Romantik wachsenden (und von der vorklassisch-formalen sich unterscheidenden) Vorstellung von Musik als Sprache des Gefühls gerecht, löst das Problem der übergroßen Dynamik durch klangliche Spannung statt purer Lautstärke. Rattle hat ja auch die Erwartung eingespielt, und es wäre sehr interessant zu wissen, ob er Tristan als Vorahnung der Erwartung oder die Erwartung als Konsequenz des Tristan auffaßt.
Vielen Dank, Herr Endemann!
Was Sie schreiben bietet m.E. auf kurzem raum viele Denkanstöße:
Rezeptionsgewohnheiten im Zeitalter von 192 KHz+ und der Möglichkeiten digitaler Verarbeitungsstufen- und wie wir mit den Gewohnehiten und Möglichkeiten und der Veränderung umgehen.
Beim Lesen Ihrer Antwort auf die Kritik habe ich sofort Vieles assoziiert, was Glen Gould (romantisch formuliert:) "vor der Zeit" durchdacht hatte.
Sehr anregend! Danke
Aber:
@Herrn Sokolowski:
Ihre Eindrücke kann ich nachvollziehen, ich würde auch dafür streiten, dass das jeder interssierte und konzentrierte Zuhörer können müsste.
Womit ich nicht einverstanden bin, ist ihr "sozialpädagogischer" (<- im Sinne des Vorurteils) Ansatz: "Wem's gefällt"???
Bloß schön in der Sphäre der Bedeutungslosigkeit schweben bleiben. Ist so hübsch bequem dort.
Kultotainment? (der TTIP-Kultur-Begriff???)
Hallo, Major Tom?
Na, wozu dann überhaupt eine Kritik schreiben?
Da reicht doch statt einer Kritik einfach
"meine Hitlist" und vielleicht eine
Selbsteinordnung in die Kategorien der Andornoschen Musiksozilogie.
Sonst machen wir einen Sitzkreis, jeder sagt was und es ist sowieso egal, weil ohnehin jeder recht hat.
"wem's gefällt." Darum kann es nicht gehen, sonst sollten diese ohnehin elitären Tempel angeschafft werden, wenn hier nicht mehr Deutungen (und in moderner Musik: Transformationen) des Erbes der "bürgerlichen Gesellschaft" diskutiert werden.
("Wozu dienet dieser Unsin? Dieses Wasser[Steuergelder] hätte mögen teuer verkauft und den Armen ..." oder so ...)
Es ist m.E. (und begründbar) natürlich i.O.,
polemische Metaphern wie "Feindfront"
u.ä. zu verwenden,
weil sie den Aspekt der eigenen emotionalen Position zum Gehörten mit reichen Interpretationsansätzen mischen.
Hier ist "Feindfront" vielleicht einer (der) stärkste(n) Teil(e) Ihrer Kritik. Das passt zur "Kampfittnesslektion" und der Derbheit -
wenn Sie das so hören/sehen, dann arbeiten die BPhil und Simon Rattle einen Aspekt hinter der ja schon in uns Klassik-Konsumenten vorprogrammierten "Klischee-Romantik" heraus:
"Teenagernerven spätpubertär aufzugeilen" attestierte Roibert Gernhardt der Tristan-Musik als deren primäre Qualität - wenn der Tristan denn heute "einfach so handwerklich perfekt u[und dazu mit dem filligranen Feingefühl der Müller-Schubertschen "Winterreise" plus ein bißchen Bläser Hochgefühl gegeben wird. Also: "Geil" für mit 40er]
Das Übliche also?
Dafür bezahle ich nicht so viel Geld, das ist ein Rückblick, für den ich kein avanciertes Orchester und keinen avancierten Dirigenten auch mit Steuergeldern durchfinanziere.
Die haben (aus meiner Sicht auf Kultur) die Aufgabe,
kein superteures schmuddelkinderfreies Entertainment zu produzieren, sondern Stellung zu nehmen.
Das dass manchmal - auch begründbar - schiefgehen kann,
das liegt in der Natur der Sache.
(Hinterher wissen wir es immer besser, aber Ihre Kritik scheint mir frei von dem Versuch,
überhaupt zu ergründen und dann zu kritisieren,
was die BPhil und Rattle da überhaupt wollten.
Das Kunsthandwerk war zu laut????
"Bei uns zuhause sind die Trompeten nicht so laut", sagte eine Dame böse am Ausgang der Kirche zum Pastor.
Machen Sie das hier nicht auch, oder habe ich etwas überlesen?
Mien Onkel ist protestierend aus seiner ersten Mahler-Sinfonie herausgerannt und meinte nachher: "Schrecklich - der Mann, der will was von Dir!" - mein Onkel hat was verstanden.
Das steckt in Ihrem schließenden "grauenvoll" vielleicht auch??
Also vielleicht ist Todessehnsucht auch ,wie Sie sagen, in einer Zeit, in der der/die normal neoliberal durchgeheizte Angestellte suizidal wird, das, was sie hier "schreiben": grauenvoll!
Vgl. Thomas Manns Kommentar zur Schlussszene der Aida im Kapitel "Fülle des Wohllauts" im Zauberberg: Man mache sich einmal klar, was da wirklich passiert, in der Oper -
Vielleicht spielen die BPhil und Rattle es gerade so, dass der/die Hörer/in das schnackelt??
Rückfrage an Sie:
Kann es denn überhaupt den von Ihnen (mutmaße ich) allerhöchsten Grad an Romantik erreichen,
wenn der/die Zuhöhrer/in gar nicht um die Abgründe weiß, sondern einfach nur alles romantisch finden kann?
Ferrero Küsschen?
Kein Licht, kein Schatten -
ich bin heute der Zitatenonkel. Sorry!
Also:
Suizidale Menschen, suizidale Gesellschaftsformen als Ganze in einer Abwärtsspirale vielleicht ist es das? Und der Schrekcne udn die Gewaltr dieser Spirale nach Unten gegenüber dem (schein-)bewussten Subjekt?
Sie schreiben das ja auch,
aber fällt es Ihnen auch auf, dass sie das andeuten?
Mir scheint: Nein.
Die Inszeneierung in Baden-Baden (New Tokio, sonst wo ...) bestätigt ja die "Feindfront" und arbeitet zugleich deutlich mit der Schopenhauerschen / Freudschen Grundlage des Ganzen, behaupte ich einfach Mal. (Ich bin ja kein Kritiker, sondern bloß Techniker. Ich darf das.)
Andere Kritiken, die Sie sicher auch gelesen haben, sagen in etwa (fast wörtlich, wenn ich mich richtig erinnere:) "Rattle, das Orchester, Tristan und Isolde - in dieser Reihenfolge" - das sich Rattle hier "vorschiebt" habe ich selbst nirgendwo in der Musik hören können und da scheinen wir uns im Bezug auf das gehörte einig zu sein, Ihre Kritik ist da auch recht freundlich und verzichtet auf Rattle-bashing: Sie scheiben da durchaus wesentlich zum Gehörten, nicht zur Person.
Also auch wenn wir es verschieden sehen - gehört haben Sie, wenn ich richtig lese, das gleiche wie ich, und insofern kann ich Ihnen das Stück weit folgen und würde Ihre Kritik verteidigen wollen.
Mir fällt ein:
Wenn denn die Musik unr einma unbedingt "romantisch" bleiben soll und nix mit uns(erer Realtität) zu tun haben darf:
Ist das denn nicht (ihr Fazit!!!) "grauenvoll", wie sehr unser Unterbewusstes oder vielelicht das äußere Gesellschaftliche uns überformt, überstimmt, übertönt, wenn es um Entscheidendes geht? Sitzen wir nicht bloß in einem Schiff, auf dem wir glauben, (unser Schicksal) zu lenken (die Stimmen), und dieses Schiff triebt auf einem riesigen Ozean (dem Orchester), der (das) zu ganz anderen Bewegungen fähig ist, als unser Bewusstsein fassen kann? [Ja, ja mein Tag der platten Binsenweisheiten!] Das entspricht doch dem damals im Schwange seienden Aufkommen der "Psychologie", ..., was Wagner doch verfolgt haben dürfte, oder? Wäre das nicht auch ein valider Versuch, die nicht gefällige Lautstärke-Regelung der BPhil und Rattles zu deuten?
Mit solch einem Ansatz in Ihrer Kritik, den Sie sicher prägnanter hätten in Worte verpacken können, hätte ich einen Satz wie den folgenden verstanden: "Das mag vielleicht im Werk angelegt sein. Aber so viele andere, reiche Aspekte werden damit vertan, es über drei Stunden durchgängig gnadenlos-konsequent auszuspielen. Ich habe diese Aufführung mit Befremden verlassen."
Aber Sie schreiben:
"wem's gefällt"
(nachdem sie wenige Worte zuvor das stupide Leistungsideal hervorgezaubert haben)
Schreiben Sie eine Kritik, damit's gefällt?
Schätzen Sie also das Freitags-Publikum als
"Weinbrand-vor-dem-Kamin-geregelte-Lautstärke-Hörer" ein. Und meinen dann, denen bestätigen zu müssen, dass Laut "nicht schön" ist und nicht in Wagners heilige Hallen gehört, die in unserer Schallplattensammlung steht?
(Das ist nur Spekulation:
Aber ich als völliger Laie, frage mich, was einen Profi dann treibt, solche Kurzschlüsse loszulassen - um [mein Klischee:] Welt-Leser zu bedienen? So fühle ich mich nach Ihrer Kritik.)
Macht nix, immerhin diskutieren wir.
Danke für den Anstoß!
Frank Laskowski