TRISTAN UND ISOLDE mal als Opernstunde

Performance Jasper Tibbe & Julian Meding erklärten Richard Wagner

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Mein ehemaliger Klavierlehrer hatte mich mit Wagner infiziert; er lud mich damals ein mit ihm Walküre an der Oper Leipzig zu erleben - es war unvergesslich, und es prägte (anhaltend bis heute) mein Musik-, Literatur- und allgemeines Kunstverständnis. Viel, viel später - seit ich meinem jüdischstämmigen Freund, der als Cellist auch ein exzeptioneller Spezialist für Alte Musik ist, begegnete - konnte ich Wagner "nur noch" in fragil-geistigem (Un-) Zusammenhang mit Hitler wahrnehmen, also rein übermusikalisch; Tristan, wenigstens und immerhin, tat diese Art von Überbau nichts anhaben - den Dritten Aufzug tu ich mir so nach wie vor, wenn's mir mitunter schlecht geht, auf den Plattenteller legen und gewinne aus der unendlichen Melodie zumeist dann Kraft und Zuversicht und allerbeste Laune...

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Jasper Tibbe, Juian Meding mag es vielleicht etwas anders gehen oder irgendwie gegangen sein, als sie sich - wie sie heute Abend einem aufmerksam-interessierten Publikum im Ballhaus Ost vorausmitteilten - sozusagen vierohrig die schöne dreieinhalbstündige Dresdner Carlos Kleiber-Aufnahme hineingezogen hatten; Tibbe hätte da bereits nach etwas über einer halben Stunde aufgegeben, während Meding unbedingt dann weiterhören wollte oder so.

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Gesagt, getan - - sie lieferten eine mit distanziertem Witz und quellwissigem Zutun mittels kluger Fremdzitate angereicherte "Stückeinführung" par excellence. Erst sah es fast so aus, als liefe dieser Opernführer-Akt auf 'ne Verarsche aus, doch peu à peu stellte sich das gemeinsame Gefühl einer gewissen Neugier an dem Stück und insbesondere an der (die Wagnerianer so besoffen machenden) Musik heraus...

Jasper ließ uns da beispielsweise wissen, dass er selber mal, und zwar bei seinem Lehrer Jimmy, Unterricht im Fach Gesang genommen hatte; aber seine Bruststimme sei halt nicht so flexibel gewesen, und er hätte nicht, so meinte Jimmy damals, so viel pressen sollen.

Julian outete sich überdies als Ex-Punker; also er klaute sich schon damals, während seiner jugendlichen Punker-Phase, Stellen aus Musik (von Wagner?), um sie "stilgerecht" für seine Punkmusikzwecke zu nutzen.

Es ist ferner von Horst Mahler, einem "mehrfach wegen Volksverhetzung, Terrorismus und Raubes verurteilten deutschen Publizisten, politischen Aktivisten, ehemaligen Rechtsanwalt und Neonazi" [lt. Wikipedia] die Rede. Otto Schily, der Horst Mahler bei den RAF-Prozessen anwaltlich vertrat, hätte ihm seiner Zeit 'ne 20-bändige Hegel-Gesamtausgabe im Gefängnis angetragen, worauf der Bekehrte ein Erweckungserlebnis gehabt hätte - also ganz ähnlich wie beim Hören von Wagnermusik, wo man z.B. nicht so richtig weiß, ob Hitler (gar beim Tristan-Hören) die Idee mit der Judenvernichtung in den Gaskammern gekommen sein könnte.

Und von Sängerin Nico (die mal mit dem Andy Warhol was in Sachen Kunst oder Musik gemacht gehabt hätte), sangen Jasper & Julian schließlich noch ein hübsches kurzes also klitzekleines Lied.

Hochinspirierend - dieses Alles in Allem!!

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 13.01.2017.]

TRISTAN UND ISOLDE (Ballhaus Ost, 12.01.2017)
Von und mit Julian Meding & Jasper Tibbe
Dramaturgie und Produktion: Annett Hardegen
Berliner Premiere war am 12. Januar 2017.
Weitere Termine: 13. + 14.01.2017
Eine Produktion von Julian Meding und Jasper Tibbe in Kooperation mit dem Ballhaus Ost und Cobratheater.Cobra

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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