WELCOME TO JERUSALEM!

Ausstellung Das wunderbare Aufblättern der Heiligen Stadt im Jüdischen Museum Berlin

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Die weltweit manifest geword'nen Aufregungen und Empörungen, nachdem am 6. 12. Donald Trump in einer Fernsehansprache ankündigte die USA-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen zu wollen, waren ungezügelt und berechtigt - ausgerechnet jetzt und heute, wo der Nahe Osten einem jeden Augenblick auseinander zu fliegen drohenden Pulverfass gleicht; so furchtbar ignorant und welt-unweise kann ein diensttuender Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika doch bald nicht sein, oder? Dabei, inkonsequent scheint dieser Schritt mitnichten: 1995 (22 Jahren ist das her!) hatte das oberste Parlament des Staates, der US-Kongress, dasselbe längst beschlossen, weil (so wie es seiner Zeit begründet wurde) Israel, wie alle andern Staaten dieser Welt, nun mal das Recht hätte, seine Hauptstadt selbst zu bestimmen; ja und bis heute - das als Totschlagargument des Präsidenten - wurde diese parlamentarische "Willenserklärung" halt nicht/noch nicht umgesetzt...

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Ich war mit meinem jüdischen Freund 2012 zum allerersten Mal in Israel; da gab's noch keinen weltweiten IS-Terror und keinen Syrienkrieg und keine Flüchtlingsströme nach Europa. Und wir blieben über eine Woche dort und fuhren dann auch mit der Bahn von Tel Aviv nach Jerusalem-Malcha - von dort aus weiter mit dem Zubringerbus zur Altstadt.

Eingebetteter Medieninhalt

Welcome to Jerusalem!

Einer der ersten Ausstellungsräume, die das wunderbare Aufblättern der Heiligen Stadt im Jüdischen Museum Berlin gegenständlich machen, ist von drei sich gegenüber befindlichen Leinwänden umwandt, auf denen parallel (und dreifach verschieden tönend) Alltagsgeschichten aus den Jerusalemer "Teilgebieten" aller drei abrahamitischen Religionen zu sehen sind - was bei der Nach-und-nach-Wahrnehmung der drei Filme ganz besonders auffällt, ist das intensiv von überall her zu vernehmende Vogelgezwitscher, ein akustisches Highlight dieser das ganze Jahr über warmen und trockenen Stadt in den Judäischen Bergen und westlich vom Toten Meer, an das ich mich, als ich das wiederhörte, gleich erinnerte. Auch waren die engen Händlergassen zur palästinensischen Seite hin zu sehen; wir schlenderten dort vor fünf Jahren bis zu ihrem Ende, um von dort aus auf kürzestem Weg zum Felsendom auf dem Tempelberg zu gelangen, was uns leider nicht vergönnt sein sollte, denn ein uniformierter Beamter der islamischen Waqf-Behörde verwehrte uns den Zutritt, und obgleich kein Freitagsgebet bevorstand und auch keine Anzeichen für ähnlich religiöse Aufläufe vor Ort zu spüren waren; es war pure Willkür, weiter nichts...

Ein durch grafische Animationen und unter Zuhilfenahme von Tondokumenten (die man über Kopfhörer kommuniziert erhält) gestalteter Schaukasten vermittelt die Jahrtausende währende Historie der vielleicht unglaublichsten Stadt auf dieser Welt. Die Grenzen und die religiösen "Zuständigkeiten" wechselten sich ab oder vergingen wie die seither wegverronnenen Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte. Ein Zankapfel, bestimmt für alle Ewigkeit...

Die Stadt - deren älteste Spuren auf keramische Ausgrabungsfunde des Chalkolithikums (5700 bis 3700 v.u.Z.) zurückzuführen sind und deren literarische Existenz, beispielsweise durch die Landnahme Kanaans (1200 bis 1000 v.u.Z.), bereits in der hebräischen Bibel belegt ist - wurde nachgerade erobert und beherrscht von Römern, Sassaniden, Arabern, Umayyaden, Abbasiden, Fatimiden, Seldschuken, Kreuzrittern, Mamluken, Osmanen; zuletzt (nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und als vorläufigem Resultat des Ersten Weltkriegs) gab es das britische Mandat, den UN-Teilungsplan, den Unabhängigkeitskrieg, die Erklärung zur Hauptstadt Israels, den Sechstagekrieg, den Siedlungsbau, das Jerusalemgesetz von Camp David, die Erklärung zur Hauptstadt Palästinas, den Oslo-Prozess etc pp. Alle(s) bleibt anhaltend in einem permanenten Wandel...

Und am Ende wird Jerusalem wohl KEINEM gehören; es war, ist, bleibt - und im optimistischsten der anzunehmenden Fälle - sicherlich für alle Zeit FÜR ALLE da.

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Einer der letzten Ausstellungsräume dient als Studiokino, hier kann man den 20minütigen Kunstfilm Inferno (2013) von Yael Bartana sehen. Er inszeniert den mit gigantischem Größenwahn errichteten Nachbau des Salomo-Tempels - auch als sog. erster Tempel aus der jüdischen Religionsgeschichte überliefert - durch die evangelikale (und israelfreundlich gesinnte) "Universalkirche vom Reich Gottes" im brasilianischen São Paulo: Eine Prozession von weiß gekleideten Gläubigen mit üppigen Blumen- und Fruchtbouquets findet statt. Als sie im Tempel anlangen, harren sie erwartungsvoll des Anbeginns irgendeiner Zeremonie. Eine baalspriesterliche Autorität initiiert durch ihr Erscheinen die rituell sich hinziehende Zerstörung des Tempels mittels einer Explosion und dem daraus entstehenden Brand... bis die Prozessierenden tot und verletzt umhergeschleudert und in eine Art von Höllenloch geworfen werden, währenddem der Tempelbau in sich zusammenkracht und lediglich ein bloßes Mauerteil (die so versinnbildlichte Klagemauer der Juden) übrig lässt.

Was für ein toller Kommentar zu all dem religlösen Wahn, der auch oder vor allem mit Jerusalem gezeitigt werden kann!

Diese unter Vermeidung eines erhobenen Zeigefingers gänzlich unaufgeregte und fast spielerisch zur Schau gestellte "Gelassenheit" von Ansichten und Deutungen vermittelt bekommen zu haben, ist dann eines der erfreulichsten Verdienste jener großartigen Schau des Jüdischen Museums in Berlin.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 21.12.2017.]

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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