WIENER PHILHARMONIKER spielten Boulez

Konzertkritik Eröffnungskonzert der FESTTAGE 2015 der Staatsoper Unter den Linden

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Die diesjährigen FESTTAGE der Staatsoper Unter den Linden haben sich zwei Schwerpunkte gesetzt: Boulez & Wagner. So beinhalten z.B. die Konzerte (mit den Wiener Philharmonikern, der Staatskapelle Berlin und dem West-Eastern Divan Orchestra) Werke des Franzosen - und die Staatsoper führt einen neuenParsifal sowie den Sasha Waltz-Tannhäuser aus dem Vorjahr auf; das Alles in der Obhut und unter der Leitung Daniel Barenboims, der sich (wie allgemein bekannt ist) als direkter sowie "indirekter" Freund der beiden großen Komponisten resp. ihrer Stücke fühlt und auch begreift. Erst vor paar Tagen hatten er sowie die Staatskapelle einen formidablen Alban-Berg-Zyklus gestemmt - jetzt steht der Dirigent also erneut, fast jeden Tag und jeden Abend, an Berliner Pulten; und das Alles will dann schließlich auch genauest einstudiert sowie geprobt sein - - meine Güte, woher nimmt er bloß die Energie?!

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Dass eines der weltbesten Traditionsorchester mit gleich drei Boulez-Präsentationen - und "nur" ausschließlich für dieses eine Gastkonzert - anreist, darf schon als ungewöhnlich angesehen werden; dass die Wiener [die bereits im Herbst des letzten Jahres mit dem Harnoncourt hier in der Hauptstadt waren und die Rosamunde von Franz Schubert im Konzerthaus boten] sich auf so was überhaupt erst einließen, hat freilich mit dem Barenboim, den sie bereits (als Beispiel nur) zweimal zur Ausgestaltung ihres Neujahrskonzerts einluden, zu tun. Wir nehmen an, dass er dann einfach seine exklusiven Wünsche - anlässlich des 90. Geburtstages vom Duzfreund Pierre Boulez - so vortrug, und die Wiener werden das Projekt ganz umstandslos und herzvertraulichst abgenickt haben; es kann nicht anders sein.

Ein zweisprachiger Klopper mit je 150 (insgesamt: 300!) Seiten (wiegt: 600 Gramm) wird uns Konzertbesuchern zur ausführlich-ausgiebigen Einführung ins Lebenswerk des hohen Jubilares beigereicht (kostet: 12 Euro); und das Blätternswerteste an ihm: das Werkverzeichnis Pierre Boulez', die Zeittafel und eine Auflistung der Auftritte/CD- und DVD-Einspielungen des Komponistendirigenten mit der Staatskapelle - brauchbar-sammelnswertes Faktenwissen. Alles andere liest sich zwar auch ganz gut, strengt allerdings beim Lesen ziemlich an. Wir sind ja mehr oder weniger (fast "nur") Laien; doch der Klopper zielt eindeutig auf so Fachkongressteilnehmer... Das am Rande.

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Irrsinnsschön: der Streicher-Sound der Wiener Philharmoniker - wir sind zwar von der Staatskapelle (auch!) 'nen irrsinnsschönen Streicher-Sound gewöhnt, aber der Wiener'sche klingt irgendwie dann völlig anders, also "anders schön"... So spielen sie dann also Livre pur cordes für Streichorchester, und das Stück zieht sich und zieht sich, nimmt und nimmt kein Ende. [Im bereits erwähnten Fachkongressteilnehmer-Klopper kriegt man dann Details zum Stück erklärt.]

"... explosante-fixe ... originel" für Solo-Flöte und Ensemble wäre eine fortführende sowie orchestral erweiterte Version von Boulez' früherem Mémoriale für Solo-Flöte und acht Instrumente gewesen - so markierte es mit seiner menschenfreundlich-einfachen Erläuterung der Maestro seinen Hörern - Barenboim hatte vor Jahren mal 'nen ganzen MUSIKFEST-Abend (ausschließlich mit Boulez-Stücken) durchmoderiert; das kam dann bei den Leuten super an!

Karl-Heinz Schütz war der Flötist, ja und die Technik (für die Echolotung der gespielten Flötenweisen) kam vom renommierten IRCAM-Institut, Christiane Bauer und Noid Haberl saßen am Mischpult.

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Nach der Pause Schuberts Große C-Dur-Sinfonie!

Das war natürlich DAS Programm der Wiener Philharmoniker.

Dem Barenboim gelang mit seinen Gästen eine kühlklare, arg windige und daher recht brimboriumlose Interpretation; der absolute Kracher war der imposant-rasante Schlusssatz.

Standing ovations.


http://www.livekritik.de/kultura-extra/templates/getbildtext2.php?text_id=8531
Wiener Philharmoniker und Daniel Barenboim - Foto (C) Terry Linke | Bildquelle: staatsoper-berlin.de

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 28.03.2015 auf KULTURA-EXTRA] http://vg01.met.vgwort.de/na/60fd23d407e145948964e4d011657151

WIENER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 27.03.2015)
Pierre Boulez: Livre pour cordes
- Mémoriale (
- "...explosante-fixe...originiel"
Franz Schubert: Sinfonie Nr. 9 C-Dur D 944
Karl-Heinz Schütz, Solo-Flöte
Klangregie und Live–Elektronik: Christina Bauer und Noid Haberl
Live–Elektronik entwickelt und realisiert durch IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique)
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Daniel Barenboim
FESTTAGE der Staatsoper Unter den Linden

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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