Norwegischer Wozzeck

Premierenkritik Ole Anders Tandberg friert sich mit der DOB am nördlichen Polarkreis einen ab

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Kaum einer mochte groß erwarten, dass der 1926 an der Staatsoper Unter den Linden welturaufgeführte Wozzeck Alban Bergs, welcher dortselbst (seit Jahren und Jahrzehnten) auch und fast schon selbstverständlich eins der musikalisch untoppbaren Referenzprojekte ist, jetzt an der DOB, dem großen Schwesternhaus in der Berliner Bismarckstraße, irgendwelche, und schon gar nicht nennenswerte, Konkurrenz erfährt. Hat man sich - so wie ich z.B. - erst mal in den seelzehrenden, unheimlichen Klangsog, der von Daniel Barenboim und "seiner" Staatskapelle (jedesmal, wenn sie den Wozzeck spielen) ausgeht, willentlich hineinbegeben, kann danach kein anderweitig sich manifestierender Orchestersound gefallen; sicherlich ein Präzedenzfall der hybridesten Voreingenommenheit - allein: Ich kann's nicht ändern; sorry!

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Donald Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper Berlin bemühen sich aufs Redlichste, den Wozzeck als ein explosiv-emotionales Menschenstück Musik gesamtkunstwerklich vorzuführen; insbesondere bei seinen Zwischenspielen brechen all die abgrundtiefen Zwischenmenschlichkeiten auf und aus. Bei gründlicherem Weiter- und auch Nachhören bleibt allerdings zu konstatieren, dass es insgesamt an Tiefenschürfung und an Ätzung fehlt; oft hört es sich so an, als sei professionell vom Blatt gespielt (und dirigiert!). Mehr nicht.

Auch die Besetzungsliste - nicht gerade idealisch:

Als passabel gehen da noch Burkhard Ulrich (Hauptmann), Seth Carico (Doktor) und Annika Schlichtl (Margret) durch. Wiewohl selbstredend Johan Reuter in der Titelrolle Substanzielles, mehr im Stimmlichen als in der Darstellung, zu bieten in der Lage ist. Thomas Blondelle (Tambourmajor) hätte man sich in seiner wichtigen Zentralpartie brutaler, primitiv-sexistischer vorstellen können. Völlig unglaubwürdig allerdings die stimmgewaltige Elena Zhidkova (Wozzecks Marie); das Peinlich-Peinigende ihres Auftritts ist vielleicht mit dem ihr zugestandenen Versuch als Operndiva in 'nem unterschichtigen Milieu "gastiert" zu haben zu begründen.

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Und das norwegische Macherteam unter der Leitung Ole Anders Tandbergs (Inszenierung) war der Meinung, Wozzeck dorthin ansiedeln zu müssen, wo der Regisseur sowie sein Bühnenbildner Erlend Birkeland oder Knut Hamsun halt zuhause sind. So richtig schlüssig freilich schien die Sache nicht.

Banal, enttäuschend.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 06.10.2018.]

WOZZECK (Deutsche Oper Berlin, 05.10.2018)
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Ole Anders Tandberg
Bühne: Erlend Birkeland
Kostüme: Maria Geber
Licht: Ellen Ruge
Video: Robert Pflanz
Chöre: Jeremy Bines
Kinderchor: Christian Lindhorst
Dramaturgie: Jörg Königsdorf
Besetzung:
Wozzeck ... Johan Reuter
Tambourmajor ... Thomas Blondelle
Andres ... Matthew Newlin
Hauptmann ... Burkhard Ulrich
Doktor ... Seth Carico
Der Narr ... Andrew Dickinson
Marie ... Elena Zhidkova
Margret ... Annika Schlicht
1. Handwerksbursch ... Tobias Kehrer
2. Handwerksbursch ... Philipp Jekal
Kinderchor, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 5. Oktober 2018.
Weitere Termine: 10., 13., 19.10. / 08., 15.11.2018

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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