An Kompromissfähigkeit wie Veränderungswillen hat es Massimo D’Alema nie gefehlt. Er begann seine politische Laufbahn in der Kommunistischen Partei (PCI), gehörte in den 80er Jahren zu deren Vorstand und trieb 1991 ihre Transformation zur Demokratischen Partei der Linken (PDS) voran, die er später in diverse Mitte-links-Regierungen führte. In einer davon konnte er 1998 bis 2000 als Ministerpräsident gar Richtlinienkompetenz wahrnehmen, auch wenn das der italienischen Politik weder zu mehr Stabilität noch zu sozialem Gewissen verhalf.
Seine zielorientierte Flexibilität hat D’Alema auch in diesen Tagen wieder unter Beweis gestellt. So traf er sich mit Renato Brunetta, dem letzten wirklich treuen Gefolgsmann von Silvio Berlusconi und Gianfran
d Gianfranco Fini, dem Gründer der postfaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano. D’Alema tat es, wie er beteuert, zum Wohl Italiens.Aber der Reihe nach. Am 4. Dezember sind die Italiener zu einem Referendum aufgerufen, um über eine Verfassungsreform abzustimmen. Es geht unter anderem um verschlankte politische Institutionen. Bisher waren Parlament und Senat gleichberechtigt. Beide Kammern hatten Gesetze zu verabschieden oder über das Schicksal von Regierungen zu befinden. Premier Matteo Renzi legt nun eine revidierte Magna Charta vor, die dem Abgeordnetenhaus ein Entscheidungsmonopol zuordnet, während der Senat bei Gesetzesprojekten künftig nur noch ein Vetorecht mit aufschiebender Wirkung haben und zu einer Art Länderkammer degradiert werden soll, bestehend aus Bürgermeistern und Deputierten der Regionen.Protest gegen diese Reform kommt nicht nur von rechts, auch aus Renzis eigener Partei. D’Alema, der zum linken Flügel der Demokratischen Partei (PD) zählt, hat erst kürzlich auf einer Vorstandssitzung erklärt, er werde bei der Volksabstimmung mit Nein votieren. Eine derartige Inventur der Verfassung stelle ein Risiko für Italiens Demokratie dar. Man gehe auf Tuchfühlung zu einem autokratischen System, weil bei der Reform des Wahlrechts fortan eine siegreiche Partei oder Allianz einen Bonus erhalte, der ihr die absolute Mehrheit der Mandate ohne absolute Mehrheit der Stimmen sichern werde. Regierungschefs erhielten auf diese Weise zu viel Macht. Es werde ihnen gestattet sein, ohne große parlamentarische Rücksichten mehr herrschen als regieren zu können. In der Kritik spiegeln sich die enttäuschten Erwartungen eines bekennenden Sozialdemokraten, weniger die eines entschlossenen Demokraten, der sich um Good Governance in Italien sorgt. Stattdessen ist zu vermuten, dass Renzis Verfassungsreform und die Unwägbarkeiten des Plebiszits D’Alema den schon länger ersehnten Vorwand bieten, einen Kurswechsel – sprich: Linksschwenk – in der Demokratischen Partei zu erzwingen.Weder beim Einstecken von Niederlagen noch beim Verdauen von Kritik war der Ex-Kommunist jemals gelassen. Diverse Verballhornungen, die er ertragen musste – sie reichten von „Leader Massimo“ bis zu „Baffino“ oder „Baffino di ferro“ (eisernes Schnurrbärtchen) in Anspielung auf Stalins italienischen Spitznamen „Baffone“ –, duldete er gerade noch. Als aber der Zeichner Giorgio Forattini D’Alema halb als Stalin, halb als Hitler karikierte, war die Grenze des Erträglichen derart überschritten, dass D’Alema Forattini anzeigte. Mit Renzi konnte er so nicht verfahren, doch dürfte der oft Geschmähte dem Premier nie verziehen haben, dass er von diesem als „rottamabile“ (schrottreif) beleidigt wurde.Hinter der jetzt unter den Demokraten erkennbaren internen Zerreißprobe steckt freilich mehr als nur verletzte Eitelkeit. D’Alema, dessen politischer Ziehvater in der Kommunistischen Partei einst Generalsekretär Enrico Berlinguer war, und den total unideologischen Renzi trennen in politischer Hinsicht Welten. Der eine hat von weit links seinen Weg zu den italienischen Sozialdemokraten gefunden, der andere kommt aus bürgerlich-liberalem Milieu. Dass sich Renzi den Zugriff auf die Parteiführung nur verschaffen konnte, weil er den linken Parteiflügel ausmanövrierte und sich hinterher in einer Urwahl von der Basis das Vertrauen aussprechen ließ, hat ihm D’Alema bis heute nicht vergessen.Wie unerbittlich ein solcher Widersacher sein kann, hat der um sechs Jahre jüngere Parteikollege Walter Veltroni am eigenen Leib erfahren. Nach der Auflösung der Kommunistischen Partei im Jahr 1991 vertraten D’Alema und Veltroni in der Nachfolgepartei PDS sehr unterschiedliche Positionen: D’Alema wollte die Partei reformieren, ohne die kommunistische Vergangenheit zu verleugnen; Veltroni dagegen warb für den scharfen Schnitt und hielt sich lieber an Martin Luther King oder einen US-Präsidenten wie John F. Kennedy.Hartnäckig waren beide, lange dominierte D’Alema, ab 2007 war dann Veltroni am Zug. Die Partei näherte sich unter seiner Führung immer mehr dem amerikanischen Muster der Demokratischen Partei. Nur war Veltroni auf Dauer dem sich dagegen formierenden innerparteilichen Widerstand nicht gewachsen und trat 2009 als Parteichef zurück, was den Trend zur politischen Mitte zum Leidwesen D’Alemas keineswegs aufhielt. Ist eine Kurskorrektur im Augenblick möglich? An mangelndem Selbstbewusstsein hat Massimo D’Alema nie gelitten. An seinem ersten Schultag im damals noch erzkatholischen Italien soll er seiner Lehrerin mitgeteilt haben, er sei Atheist und gedenke es auch zu bleiben. Politik gehörte von jeher zu seinem Alltag, der Vater war Mitglied der PCI-Nomenklatura. Wie sein einstiger Pressesprecher Fabrizio Rondolino einmal erzählt hat, ist Massimo D’Alema der letzte Hegelianer, den das Bewusstsein mehr reizt als Tatsachen.