„Frauen sind aggressiv“

Im Gespräch Die USA und Ostdeutschland sind sich sehr ähnlich, sagt die Autorin Hanna Rosin. Hier wie dort lösen Frauen die Probleme, indem sie tun, was sie immer taten: arbeiten

Hanna Rosin hat mit ihrem Buch Das Ende der Männer einen Weltbestseller geschrieben. Über ihre Thesen wurde viel gestritten, interessant ist jedoch, dass viele ihrer Beschreibungen der amerikanischen Mittelschicht auch auf Ostdeutschland passen. Auch dort haben sich die Geschlechterverhältnisse sehr verändert. Frauen verdienen besser, sind anpassungsfähiger und flexibler. Hat Frau Rosin je von der DDR gehört? Wir treffen sie in Berlin, um sie genau das zu fragen.

Der Freitag: Frau Rosin, Sie haben ja ein Buch über Ostdeutschland geschrieben!

Hanna Rosin: Ja, ich habe schon gehört, dass es dort ähnliche Verhältnisse wie in den USA gibt.

Inwiefern?

Es sind zwei wirtschaftlich stark schwankende Regionen, in denen sich durch äußere Veränderungen alles, also auch das Geschlechterverständnis, verändert hat. In der DDR haben im Unterschied zu Amerika viele Frauen auch vor dem Mauerfall schon gearbeitet. Dann lässt sich beobachten, dass sie mit der großen Veränderung besser klargekommen sind. Das wiederum war in den USA auch so.

Nach dem Mauerfall sind mehr Frauen als Männer abgehauen.

Wenn eine unklare Situation existiert, wird die von Frauen oft dadurch gelöst, dass sie irgendetwas tun.

Ich komme aus Ostdeutschland. Meine Eltern sind beide Biologen, beide haben 1989 ihren Job verloren. Meine Mutter hat drei Kinder erzogen, mein Vater ist seither depressiv.

Das kenne ich aus der amerikanischen Unter- und Mittelschicht. In dem Moment, wo sich die äußere Welt verändert, sind Männer weniger flexibel. Das liegt ganz einfach auch an einem lange eingeredeten Rollenmodell. Zudem ist das natürlich eine Situation, in der der Mann, dem klassisch die Ernährerrolle zufällt, düpiert wird. Damit kommen Väter schlecht klar. Sie bleiben auf dem Sofa sitzen. Was macht ihre Mutter jetzt?

Sie hat sich ein Gewehr gekauft. Und mein Vater träumt von einer Frau mit rotem Lippenstift.

Im Grunde folgen die Männer da ihrer ornamentalen Männlichkeit. Dann beziehen sie sich eben wieder auf alte Frauenbilder, weil sie mit ihrem neuen Verständnis nicht zurechtkommen. Sie trauern jener alten Welt nach, in der die Frau noch das war, was man kannte. Die Frauen hingegen tun das, was sie immer tun: arbeiten.

Da der rote Lippenstift, hier die Frau im Dirndl. Haben Sie die Sexismus-Debatte um Rainer Brüderle mitbekommen?

Dieser alte Politiker kann mit einer jungen Journalistin einfach nicht umgehen. Sie sagt, er sei alt. Er sagt, sie habe eine tolle Oberweite. Das ist schwach. Zudem rutschen auch hierzulande immer mehr Frauen in Führungspositionen. Und dort werden nun Entscheidungen anders getroffen.

Also weniger im Hinterzimmer, sondern häufiger per Mail?

Natürlich, das heißt nicht, dass es die Welt besser macht, aber Entscheidungen werden anders getroffen. Finden Sie nicht, dass Ihre Kanzlerin, die ja auch aus dem Osten kommt, Entscheidungen anders trifft?

Ja, per SMS.

Empfinden Sie sich als junge Ostdeutsche nun eigentlich als Feministin?

Inzwischen schon.

Denn alle Frauen, die ich für mein Buch interviewt habe, sagten mir, dass sie auf keinen Fall Feministinnen seien. Aber alles, was sie gesagt haben, zeichnet sie als Feministinnen aus. Komisch, nicht?

Gibt es also ein Frauengehirn und ein Männergehirn? Und die entscheiden jeweils eben geschlechterspezifisch?

Es gibt das weibliche Gehirn nicht! Es gibt keine natürliche Ordnung, nur die Dinge, wie sie sind. Genau das habe ich in den USA und Sie in Ostdeutschland sehen können. Eine neue Situation entsteht, und plötzlich verändert sich das ganze Genderverständnis. Die Rollen sind stärker austauschbar geworden. Frauen werden heute sogar noch aggressiver, als wir uns das je vorstellen konnten. Das zeigt sich in der steigenden Zahl von Mörderinnen oder den sogenannten Killer-Bankerinnen an der Wallstreet. Also, die Welt als Matriarchat wird ganz bestimmt kein weiches, feminines Utopia. Im Grunde haben wir noch gar nicht verstanden, wie und ob Frauen überhaupt „programmiert“ sind.

Was ist mit dem Begriff der Helden? Gibt es den noch?

Ich habe eine Frau, die geschieden war, im Supermarkt getroffen und sie gefragt, wen sie nun heiraten würde? Sie nannte einen alten Westernhelden. Und fügte hinzu: oder ihren Mann noch einmal, aber nur, wenn der einen Job hat. Das bedeutet, dass Frauen noch immer vom Helden träumen, nur die Realität hat sich geändert. Solche Helden kommen allenfalls in Reden von Politikern und Texten von Countrysängern vor. Die traditionelle Liebe halten viele für eine Fiktion, die nur noch in Popsongs überlebt.

Trotzdem wurde soeben der Super-Bowl sogar in Deutschland übertragen. Ein Hort archaischer Männlichkeit!

Die Männer in den Werbespots, die während der Übertragung ausgestrahlt werden, werfen normalerweise mit Bällen, rasen mit Motorrädern herum und tun überhaupt alles, was Männer gerne tun würden, wenn sie nicht von Frauen daran gehindert würden. Vorletztes Jahr gab es nun plötzlich einen Werbespot, der für mich ein perfekter Ausdruck des modernen Zustands der Geschlechterbeziehungen ist: Vier Männer starren in die Kamera, sie lächeln und bewegen sich nicht. Sie sehen aus, als wären sie mit Psychopharmaka ruhiggestellt und könnten sich kaum noch aufrecht halten.

Domestizierte Männer?

Dann fährt ein Auto ins Bild. Unterschrift: Man’s last stand. Naja, letztlich spricht das doch für eine sehr gute Anpassung der Männer.

Wenn Frauen aber so unabhängig sind, dass sie den Mann als Ernährer wirklich nicht mehr brauchen, dann wünschen sie sich plötzlich einen Partner, der agiert wie ein Feldherr. Oder der mindestens ein Genie sein muss. Drunter geht‘s nicht.

Naja, es gibt noch andere Modelle, nach denen Frauen aussuchen. Also, es gibt ja die Möglichkeit, sich einfach zu verlieben. Mein Buch erzählt nicht von einem Krieg zwischen den Geschlechtern. Es verändert sich etwas. Wir reden ab sofort auf Augenhöhe. Und deshalb gibt es ja auch die Liebe.

Gute Idee!

Ja, die Liebe ist eine gute Idee.

Führt das nicht zu einer Renaissance der Ehe?

Paare mit Hochschulabschluss sind viel flexibler in Bezug darauf, wer welche Rolle spielt, wer wie viel Geld verdient, und in gewissem Ausmaß auch darauf, wer die Kinderlieder singt. Sie gehen über das Konzept der Gleichheit hinaus und entwickeln neue Modelle. In diesen Ehen drehen sich die Einkommensverhältnisse alle paar Jahre um. Mal verdient die Frau mehr, mal der Mann. Das ist die Ehe der wechselnden Rollen. Immer mehr Frauen aus der Oberschicht werden zu Alleinverdienern, das kann, wenn das beide Partner vertragen, dazu führen, dass ihre Ehe als glücklich empfunden wird.

Bei uns in Deutschland ist es gerade so: Wenn wir nicht über das Wort „Neger“ in Kinderbüchern reden, reden wir über die Brüste von Journalistinnen.

Wir leben in einer Phase des Umbruchs. Das heißt, Männer müssen sich auch in der Oberschicht neue Plätze suchen. Während die Frauen zum Beispiel mehr arbeiten, verbringen sie im Vergleich zu den Siebzigern noch dazu auch mehr Zeit mit den Kindern. Männer hingegen arbeiten inzwischen etwas weniger, haben sich aber die Bereiche der Frauen nicht erobert. So gesehen sind die Frauen immer noch Herrscherinnen über ein Gebiet und erobern andere Gebiete hinzu. Das kann ja nicht reibungslos funktionieren. Dann führt man plötzlich solche Sexismusdebatten. Was denken Sie darüber?

Sexismus hatte ich bisher immer in den Siebzigern verortet.

Ja, das ist auch ein Ablenkungsmanöver. Worüber redet man da eigentlich? Also, ich kenn mich in Deutschland nicht gut genug aus, aber Männer und Frauen gibt es doch überall, sogar in Großbritannien.

Wenn die Frau den Mann aus ökonomischen Gründen nicht mehr braucht, werden dann Frauen eher mit Frauen zusammenleben?

Das ist eine interessante Frage. Dazu gibt es keine Zahlen, ich habe aber auch schon darüber nachgedacht. Frauen sind flexibel. Es gab einmal eine lustige Situation, in der ein Mann zu einer Frau sagte, sie solle sich mal ein bisschen locker machen. So ein Blabla-Flirt. Als aber ein offensichtlich schwuler Mann hinzukam, geriet der Mann regelrecht in Panik. Also, Männer scheinen mir auch da weniger flexibel.

Hanna Rosin wurde in Israel geboren und wuchs im New Yorker Stadtteil Queens als Tochter eines Taxifahrers und einer Hausfrau auf. Sie studierte an der Stanford University Vergleichende Literaturwissenschaft und arbeitet als Redakteurin für die US-Zeitschrift The Atlantic. Ihr Buch Das Ende der Männer erschien vor wenigen Wochen im Berlin Verlag.

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