Ab in die Schuldenfalle

Montenegro Chinesische Unternehmen bauen auf dem Balkan eine recht teure Autobahn für den EU-Aspiranten
Ausgabe 06/2020

Kojo Lakušić und seine Frau Ajda leben mit Fuchs und Wolf. So jedenfalls, sagt Lakušić, käme es ihm vor, seit viele der Bewohner seines Dorfes Lijeva Rijeka wegzogen. Nur die Alten seien geblieben – oder gestorben. Häuser in der Nachbarschaft stehen leer, der Lebensmittelladen ist geschlossen, krank werden darf man nur noch montags, dann nämlich kommt ein Arzt vorbei. Kojo Lakušić lebt von umgerechnet 127 Euro Rente, die er seiner Arbeit am Band in Titograd verdankt, wie die Hauptstadt jahrzehntelang hieß. Ohne Kühe, Schweine und Gemüsegarten würde das zum Sattwerden nicht reichen. Sein Haus hat Lakušić selbst gebaut aus Felssteinen und dem Holz der Wälder. Schwere Arbeit hat die Haut im Gesicht des 67-Jährigen gefaltet wie eine Ziehharmonika.

Wohlstand für alle

Lijeva Rijeka ist ein montenegrinisches Bergdorf, gelegen zwischen der Kapitale Podgorica und der Kleinstadt Kolasin wie an der Landstraße P 19, die Wälder und Dörfer durchläuft, in denen Armut und Verlassenheit hausen wie böse Geister. Vom Tourismusboom, den Montenegro an seiner Küste erlebt, ist in dieser Gegend nichts zu spüren. Unweit der Kreuzung von Europastraße E 80 und P 19 fahren Baumaschinen hin und her, lagern Schutt und Aushub ab, wo der Wald kahl geschlagen ist. Beim Ort Smokovac beginnt der erste Bauabschnitt der insgesamt 163 Kilometer langen Bar-Boljare-Autobahn, die einmal den montenegrinischen Hafen Bar mit Serbien verbinden soll, um dem Tourismus zu dienen, sprich: einen wirtschaftlich schwachen Norden zu beleben. Als einziges Land in Europa hat Montenegro im Gebirge wie entlang der Küste nur Schnellstraßen, auf denen ein zügiges Vorankommen kaum möglich ist. Eine Autobahn wird schon gebraucht, doch ist heftig umstritten, unter welchen Umständen sie gebaut wird. Nie hätte das Land ein solches Projekt selbst bewältigen können. Nur etwa 14.000 Quadratkilometer groß, gehört es mit 626.000 Einwohnern zu den ärmsten Staaten Europas. Die Autobahn blieb nur Traum, bis 2014 die chinesische staatliche Exim-Bank einen Kredit von 800 Millionen Euro anbot, um einen Teilabschnitt unter der Bedingung zu bauen, dass dem halbstaatlichen chinesischen Unternehmen CRBC das Vorhaben zuerkannt wird und 3.000 Arbeiter ins Land dürfen.

Das Ganze ist Teil der chinesischen „Belt and Road Initiative“ (BRI), die romantisierend auch Neue Seidenstraße genannt wird. 2013 von Präsident Xi Jinping ins Leben gerufen, soll damit ein Netzwerk aus Straßen, Schienen und Seewegen entstehen, das Chinas Warenverkehr begünstigt. Montenegro, Serbien, Nordmazedonien, Ungarn, Kroatien und Bosnien-Herzegowina sind als Einfallstor nach Europa gedacht. Mehr als 29 Milliarden Dollar hat China seit 2007 in Südosteuropa investiert und zugleich von einer Expertise profitiert, die sich auch beim Autobahnbau bezahlt macht. Wenn die Trasse fertig ist, werden tausend Meter Höhenunterschied überwunden, 40 Brücken und 90 Tunnel gebaut sein. Mit 25 Millionen Euro Kosten pro Kilometer entsteht die teuerste Piste Europas.

Die Götter erfüllen oft denen Träume, die sie strafen wollen. Bereits der Kredit für den ersten Teilabschnitt hat die Verschuldung Montenegros auf über drei Milliarden Euro ansteigen lassen. Kojo Lakušić sitzt in einem Raum seines Drei-Zimmer-Hauses, der als Küche einen Ofen hat. Er raucht eine Trokadero-Zigarette und trinkt Selbstgebrannten aus Gartenäpfeln. Die Autobahn? Die sei dazu da, die Taschen der Regierung zu füllen. Im Radio hat er den Ministerpräsidenten sagen hören, der Bau werde Wohlstand für alle bringen und lasse Armut wirksam bekämpfen. Lakušić weiß nur, dass seine karge Rente gekürzt worden ist und er den Arzt für seine Frau nicht mehr bezahlen kann.

In Podgorica hat die chinesische Botschaft zu einem Empfang mit Buffet ins Hilton Hotel geladen. Während man an Stehtischen plaudert, läuft auf einer großen Leinwand ein Imagefilm mit dramatischer Musik und dramatischen Landschaften. Die Botschaft ist unmissverständlich: China ist groß. China ist mächtig. Botschafter Liu Jin beschreibt in einem Toast immense Fortschritte seines Landes. Eine glorreiche, beschwerliche Reise sei es gewesen aus einer semi-feudalen und semi-kolonialen Zeit, um heute die zweite Weltwirtschaftsmacht zu sein. Nicht zuletzt durch die Belt and Road Initiative trage man inzwischen gut 30 Prozent des Wachstums weltweit. Diese nütze dem Balkan und nütze Montenegro. Doch das ist – wenn überhaupt – nur die halbe Wahrheit. Die BRI nützt vor allem der Volksrepublik, die nicht mehr allein Warenexporteur sein, sondern dem Weltmarkt vor allem Kapital und Arbeitskraft anbieten will. Für Partner wie Montenegro kann das bedeuten, sich neue, auf Jahrzehnte belastende Schulden aufzubürden. Doch davon ist an jenem Abend im Hilton keine Rede. Der Botschafter hebt sein Glas, um auf eine einträchtige Zusammenarbeit anzustoßen, auf der Leinwand tanzen wieder grazile Frauen, fliegen Adler über Bergkuppen, verweht der Wind den Sand der Taklamakan-Wüste.

Bis zum letzten Kilometer

Miloš Konatar, stellvertretender Vorsitzender der Oppositionspartei URA, dreht sich um und verlässt grußlos den Saal. Tags darauf bekräftigt er im Gespräch, natürlich würden auch die Oppositionsparteien hinter dem „größten Projekt in der modernen Geschichte Montenegros“ stehen. Aber nicht hinter dem Deal mit China, weil es dazu keine Transparenz gebe. „Wir kennen die groben Umrisse des Vertrags, mehr nicht, alles gibt die Regierung nicht preis. Das Abkommen gilt als Verschlusssache.“ Bekannt seien lediglich die Kreditsumme, die Verzinsung von zwei Prozent, die Laufzeit von 20 Jahren und die Sechs-Jahres-Frist bis zur ersten Rate. Doch wie die Regierung ihre Schulden zurückzahlen wolle, dazu fehlten die Details. „Die Zukunft planen, das ist nichts, was unsere Regierung beherrscht“, meint der 36-jährige Ökonom. „Sie haben begonnen zu bauen, bevor letzte Klarheit über die Finanzierung bestand. Die Regierung brauchte Geld, die Exim-Bank gab es ihr, und sie griff zu, um es in regierungsnahe Subunternehmen zu pumpen.“ Es gibt Details, über die in Podgorica viel spekuliert wird – es könnten Regelungen sein, die von der Exim-Bank auch in Verträge mit anderen Staaten geschrieben wurden. Im Streitfall werden chinesische Gerichte angerufen. Und sollten Verbindlichkeiten nicht beglichen werden, kann das auch durch den Verkauf von Land an den Kreditgeber kompensiert werden. Die Regierung leugne das nicht, verweigere aber die Auskunft, was das konkret heiße, so Konatar. Auf seinem Empfang beschwichtigt Botschafter Liu Jin, das seien „alles Missverständnisse“. China sei in Montenegro und auf dem Balkan, um zu helfen. Der Vertrag über den Autobahnbau entspreche internationalen Standards. Kritik an chinesischen Investments sei nicht nur eine Form von Diskriminierung, sie entstamme der Ära des Kalten Krieges. „Wir möchten unser Wachstum und unser Wissen mit armen Ländern teilen. Wir wollen nicht mehr isoliert sein, das waren wir lange genug.“ Und überhaupt, so Lin, sei das schließlich nicht die Autobahn der Chinesen, sondern die Montenegros. „Wir gefährden diesen Staat nicht und wollen ihm auch kein Land nehmen.“ Wer Fragen habe, solle sich bitte an die Autoritäten Montenegros wenden.

Das ist nicht so einfach, erst wird ein Gespräch zusagt, dann plötzlich wieder storniert. Schließlich landet man bei Ana Nikolić, Abgeordnete der regierenden Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) und Mitglied parlamentarischer Ausschüsse, die mit Finanzen, Umwelt und Tourismus zu tun haben. Nikolić ist eine elegante, kühle Erscheinung. Details des Vertrags mit der Exim-Bank? Dazu könne sie nichts sagen, den habe sie nicht gesehen. „Aber ich vertraue unserem Premierminister, er ist ein verantwortungsbewusster Mann.“ Was sie darüber wisse, dass mit Land eine eventuelle Zahlungsunfähigkeit ausgeglichen werden soll? „Ich kann mir einen solchen Paragrafen nicht vorstellen, aber ich werde nachfragen.“ Anders als die Opposition, investigative Medien und Ökonomen des Landes ist sich Nikolić sicher, dass man die Schulden werde tilgen können. „Wir haben ein Wirtschaftswachstum von 3,9 Prozent, und schon jetzt generiert der Bau neue Investitionen in vielen Bereichen.“

Die Millionenbeträge, die aus dem Staatsbudget an Subunternehmer gehen sollen, wirken indes eher wie Peanuts: 120 Millionen Euro in zwei Jahren. Im September soll der erste Bauabschnitt fertiggestellt sein. Damit die teuerste Autobahn Europas nicht im Nirgendwo endet, weil der Staat Montenegro keinen weiteren Kilometer bezahlen kann, will die Regierung auf Privatinvestoren zurückgreifen. Doch hält sich das Interesse in Grenzen, was nicht für die Exim-Bank gilt. „Willkommen im Teufelskreis der Verschuldung“, spottet Konatar. „Wie immer bezahlen wir einen Kredit mit dem nächsten. Und wenn das System nicht mehr funktioniert, wird schon irgendjemand einspringen.“ Ob er dennoch glaube, die Autobahn werde eines Tages fertig sein? „Ja, in 20 oder 30 Jahren schon.“

Info

Die Recherchen zu dieser Reportage wurden durch ein Stipendium des Schweizer Vereins „real21“ unterstützt

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