„Ich gehe nicht“, sagt Jackson Obiang und legt Trotz in seine Haltung. Mit den bloßen Zehen zieht er einen Kreis um seine karge Bettstatt. „Dies gehört mir. Und hier bleibe ich.“ Dann zeigt er mit ausgestreckter Hand und betrübten Gesicht auf irgendeinen Punkt am Horizont. „Wer weiß, was ich dort bekomme.“
Dort, das ist das Dorf, aus dem Obiangs Eltern vor 15 Jahren vor der Lord’s Resistance Army (LRA) aus dem Norden Ugandas geflohen sind. Das heißt: halb flohen sie, halb wurden sie vertrieben. Denn die Regierung des Präsidenten Yoweri Museveni, die im aufbegehrenden Volk der Acholi eine Bedrohung sah, ließ in den frühen neunziger Jahren die Dörfer räumen und schickte 1,2 Millionen Menschen in Flüchtlingscamps mit Rundumversorgung. Weil die „Widerstandsarmee des Herrn“ unter dem Kommando von Joseph Kony von ihrem Hass auf Museveni nicht lassen wollte, schien dies eine effektive Methode, dem Rebellenchef, ebenfalls ein Acholi, die eigenen Leuten zu nehmen und damit den Boden unter den Füßen weg zu ziehen.
Für Jackson Obiangs Familie wie einer Mehrheit der Acholi ist Kony längst ein Feind. Zwar hat der noch Sympathisanten, doch mit jedem Jahr, in dem der selbst ernannte Heilsbringer allein durch Grausamkeiten von sich reden machte, wurden es weniger. Als sich Kony nicht länger darüber hinweg lügen konnte, dass es unter den Acholi kaum noch Anhänger für seine wirre Zehn-Gebote-Ideologie gab, begann er, das Volk seiner Väter zu bestrafen, indem er es quälte und drangsalierte. Mehr als 35.000 Kinder soll der psychopathische Marodeur aus den Dörfern der Norddistrikte Gulu, Pader und Kitgum entführt und als Kindersoldaten missbraucht haben. Die Mädchen verteilte er als Konkubinen an seine „Generäle“ oder nahm sie gleich selbst in sein Gefolge.
Lange flößte die LRA den Menschen im Norden Ugandas soviel Angst ein, dass sie wie gelähmt auf ein Ende des Schreckens warteten. Zu Tausenden verließen die Kinder aus Angst vor Entführungen abends ihre Hütten und übernachteten in Schulen oder im Schutz der wenigen Militärcamps, in denen die Regierungsarmee aushielt wie in einem fremden Land. Wenn Konys Horden auftauchten, wurde gemordet, geplündert und vergewaltigt.
Alkohol und Sex kaufen
Jackson Obiang ist heute 19 Jahre alt. Er war ein Kind, als seine Eltern auf der Flucht glücklich ein Lager in der Nähe der Stadt Gulu erreichten. Eine ärmliche Hütte war alles, was ihnen blieb. Im Camp ging Jackson zur Schule, fand seine Freunde und seine erste Liebe. Nun aber verfolgt die Regierung einen Friedens- und Wiederaufbauplan, um derartige Siedlungen aufzulösen und die Bewohner für eine Rückkehr in ihre einstigen Gemeinden zu gewinnen – wenn alle gegangen sind, sollen die Lager dem Erdboden gleichgemacht werden.
Ein Segen, sollte man meinen, die Abhängigkeit von fremder Hilfe, Enge und Schmutz, Resignation und Fatalismus hinter sich zu lassen. Doch die im Camp Gestrandeten sind verstört, weil sie längst nicht mehr kennen, was ihnen jetzt als alte neue Heimat im Norden versprochen wird. „Meine Eltern sind zu alt und zu müde, um dort wieder bei Null anzufangen“, klagt Jackson. „Die Regierung hat zwar versprochen, ihnen zu helfen. Aber wie? Mit einem Spaten? Einer Handvoll Reis oder Saatgut? Was soll man damit auf Feldern, die so lange nicht bestellt wurden?“
Das Lagerleben empfand Jackson nie als gutes Leben. „Aber hier gibt es Leute, die das Gleiche erlebt haben wie ich. Man kann Filme sehen, Alkohol und Sex kaufen. Wir haben genügend zu essen, wenn einer krank ist, kann er zur Gesundheitsstation gehen. Wo wir herkommen, gibt es nichts.“
Um den Übergang zu erleichtern, hat die Regierung Satellitencamps in der Nähe der einstigen Heimatgemeinden aufgebaut. Hilfsorganisationen versorgen die Menschen dort mit Lebensmitteln, Decken und Medikamenten, betreiben Schulen und Hospitäler. Mit dem Tag der Rückkehr in ihre Dörfer aber werden die Acholi endgültig auf sich allein gestellt sein. Eine beklemmende Aussicht.
Kony könnte sich rächen
600 Millionen Dollar, das ist die Summe, die für den Wiederaufbau des Nordens zur Verfügung stehen soll, hört man in Ugandas Hauptstadt Kampala. Ein Drittel davon muss die Regierung aufbringen, den Rest eine internationale Gebergemeinde, darunter die UNO mit einer 300-Millionen-Dollar-Spende und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit 50 Millionen, die teilweise schon geflossen sind. So wird der ugandische Staat bei seinen Plänen auch von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterstützt. Franziska Roetzer, die Residentin in Kampala, ist skeptisch. „Anfangs stand die Regierung unter großem internationalen Druck, was für Bewegung sorgte. Inzwischen zeigt sich, dass der Wiederaufbau des Nordens keine Priorität des Präsidenten mehr ist. Aber der Süden hat den Norden total abgehängt. Aus diesem Gefälle sind ja die vergangenen Konflikte entstanden. Und daraus werden die nächsten entstehen, wenn sich nichts ändert.“
Für Paddy Mugalula, Friedensexperte der Organisation World Vision, ist eine eindeutige Willenserklärung von Staatschef Museveni unerlässlich. „Wenn den Versprechen keine Taten folgen, dann brennt es hier. Es könnte sogar lodern, weil die Landrechte ungeklärt sind, was kaum verwundern kann, wenn eine ganze Region über ein Jahrzehnt wie ausgestorben lag.“ Weil der Besitz von Ackerflächen Konflikte auslösen kann, hat die Regierung den Wiederaufbauplan für den Norden zunächst bis Juli suspendiert. Was wird danach von den geplanten Maßnahmen übrig bleiben?
Und auch Joseph Kony scheint noch längst nicht geschlagen. Nach den vor einem Jahr gescheiterten Friedensverhandlungen suchte er im benachbarten Kongo Zuflucht und gab sich siegesgewiss. Als es dort eine große Militäroperation gegen seine Stellungen gab, rächte sich Kony an der kongolesischen Zivilbevölkerung. Sofort brachen auch in Uganda wieder Panik und Entsetzen aus. „Die Acholi fürchten sich“, sagt Paddy Mugalula. „Sie schreiben Kony übernatürliche Kräfte zu und glauben, er könne plötzlich zurückkehren und sich an ihnen dafür rächen, dass sie wieder in ihren früheren Dörfer leben, ihre Felder bestellen und dadurch die Regierung unterstützen.“
Lange waren die Gemeinden in Pader, Kitgum und Gulu eine tote Gegend. Inzwischen sieht man wieder Mais, Sorghum, Bananen und Cassava entlang der Straßen und zwischen den ersten bewohnten Lehmhütten. Wildwuchs und Brachen sind neuer Saat gewichen, die Markierungen der Feldgrenzen wieder sichtbar. Oft aber herrscht Ratlosigkeit, wie das Land verteilt werden soll. Früher haben in dieser Gegend die Ältesten die Ackerflächen vergeben. Sie wussten, wem die Felder zustanden. Doch die Stammesführer sind tot. Mit ihnen ging das kollektive Gedächtnis ganzer Gemeinden verloren.
Die wenigsten Rückkehrer besitzen Papiere oder Urkunden, um nachzuweisen, was ihnen gehört hat und wieder gehören soll. „Leider haben wir keine Gesetze, die das Landrecht regeln. Es wird Konflikte geben, das ist ganz sicher, und je weniger die Regierung hier im Norden tut, um den Leuten ein Auskommen zu sichern, desto größer werden die sein“, befürchtet Paddy Mugalula.
Lächerliches Take-Home-Paket
Für Walter Chengo (37), Manager beim Lebensmittelverteilungsprogramm von World Vision, kann künftige Gewalt nur dann vermieden werden, wenn für alle Rückkehrer alles gut vorbereitet ist. „Wir müssen uns um die Menschen kümmern. Wir müssen ihnen das Gefühl geben, dass wir uns bemühen, indem wir ihnen beispielsweise Saatgut verschaffen. Die meisten wissen nicht mehr, wie man Ackerbau betreibt. Sie ahnen es nur noch. Ein wichtiger Teil unserer Vorbereitungen sind die Gespräche mit der Dorfgemeinschaft, den Bürgermeistern, den Ältesten und den Gouverneuren der verschiedenen Distrikte. Wenn wir die Fragen der Landverteilung vorher klären und den Leuten in so genannten Friedensseminaren beibringen, wie Konflikte ohne Gewalt zu lösen sind – dann haben wir eine Zukunft.“
Jackson Obiang weiß, dass er nicht bleiben kann. Nur wohin soll er gehen? „Was die Regierung als Hilfe für uns bezeichnet, ist nichts weiter als ein lächerliches Take-Home-Paket. Mit Ochsen sollen wir wieder pflügen, mit bloßen Händen unsere Hütten bauen. Es gibt Tage, da denke ich, ich gehe einfach weg und suche mein Glück in Kampala oder sonst wo. Und an anderen Tagen weiß ich, ich kann meine Leute nicht allein lassen und meine Eltern schon gar nicht.“
Uganda 1987-2009
Lord’s Resistance Army (LRA)
1987 von Joseph Kony gegründet, besteht ihr einziges Ziel darin, Präsident Yoweri Museveni zu stürzen. Der in den Nordregionen über Jahrzehnte geführte Bürgerkrieg hat inzwischen über 12.000 Todesopfer gefordert, während bis 2008 etwa 1,2 Millionen Menschen vertrieben oder ausgesiedelt wurden, wie das Welternährungsprogramm angibt. Dabei handelt es sich um die Hälfte der Bevölkerung in den nordwestlichen Distrikten Ugandas, von denen jetzt ein Teil zurückkehren soll.
Joseph Kony
Der Führer der LRA, Angehöriger der nilotischen Volkes der Acholi, gibt vor, sich auf die zehn Gebote zu stützen und Befehle von einem Heiligen Geist zu empfangen. Tatsächlich ist seine „Ideologie“ eine Mischung aus schwarzer Magie, Christentum und Islam. Anfangs hatte sich Kony darauf berufen, dass die Volksgruppen im Norden und Westen Ugandas während der Diktatur Idi Amins (1971 – 1979) gedemütigt wurden und nun wieder ihren früheren Status erkämpfen müssten.
Verschleppte Kinder
Neben den Kindersoldaten wurden von der LRA auch Mädchen im Alter von 10 bis 14 verschleppt, die unter den Kommandanten als „Ehefrauen“ aufgeteilt wurden. Die zum Zeitpunkt ihrer Entführung, im Mai 2003, elfjährige Jennifer Adong erinnert sich an das Martyrium der Gewaltmärsche im Tross der LRA: „Wer zu müde war und nicht mehr laufen konnte, wurde einfach mit Macheten zu Tode gehackt.“
Yoweri Museveni
Der seit 1986 regierende Präsident Ugandas wurde zu Zeiten der Clinton-Regierung (1993 – 2001) zu den „neuen Führern“ Afrika gerechnet, die sich demokratischen Standards verpflichtet fühlten. Als Museveni 2006 mit 59,3 Prozent der Stimmen erneut wiedergewählt wurde, gab es jedoch Zweifel an einem regulären Wahlverlauf. Auf jeden Fall muss der Regierung attestiert werden, dass sie 2001 mit einem großzügigen Angebot allen Kämpfern der LRA völlige Straffreiheit für den Fall zusicherte, dass die Waffen ohne Bedingungen niedergelegt werden.
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