Das Fest am Schlagbaum

Kongo/Ruanda Machtlos begleiten die UN-Blauhelme den Exodus - und freuen sich, wenn sie selbst dem Krisengebiet entrinnen

Am Morgen fahren Lastwagen und Busse mit dem schwarzen UN-Schriftzug von Goma nach Gisenij. Beide Städte liegen am malerischen Kivu-See und doch ist das, was sie trennt, groß und bedeutungsvoll. Denn in Goma, der Provinzhauptstadt des ostkongolesischen Nord-Kivu, herrscht Krieg. Hunger, Cholera und Angst grassieren in den Flüchtlingscamps in und um die Stadt, täglich jagt ein Gerücht das andere: Rebellenführer Laurent Nkunda werde Goma bis zum Jahresende doch noch ein einnehmen, vielleicht sogar schon nächste Woche. Nein, Nkunda wolle sich mit den Aufständischen des Nordens verbünden. Angola hat bereits Soldaten in die Kivu-Provinz geschickt, um dem unberechenbaren Tutsi-General in den Arm zu fallen.

Wer wie ich im ruandischen Gisenij sitzt, dem lacht die Sonne über dem Kivu-See. Doch nicht Touristen bevölkern die Hotels dieses einstigen Touristendomizils, sondern Frauen und Kinder aus Goma. Tutsi-Familien allesamt, die sich vor Vergeltung und Rache fürchten. So wie Clarice mit der hohen Gestalt der Tutsi-Frauen oder Aimée, deren Mann in Laurent Nkundas Rebellenarmee CNDP* kämpft. "Nicht nur die Hutu wollen uns umbringen, die Kongolesen wollen das genauso. Auch sie hassen die Tutsi", sagt sie und wendet sich ab. So als halte sie es kaum für möglich, dass man wirklich verstehen kann, was sie meint.

Als der UN-Konvoi wenige Meter hinter dem Schlagbaum stoppt, der Kongo von Ruanda trennt, quellen aus den Lastern und Bussen Blauhelm-Soldaten, die meisten sind Sikhs und Bengalen aus Indien. Sie stürzen zum See, hüpfen wie Kinder auf und ab. Ihre Zeit als Soldaten in einem fremden Land ist beendet, in Ruandas Hauptstadt Kigali wartet das Flugzeug nach Hause. Vor der Weiterfahrt drehen sie sich noch einmal um. "Good-bye Goma, forever good-bye!" Sie rufen es unentwegt.

Auf eine Bergkuppe hinter Kanyabayonga, einem Ort 175 Kilometer nördlich von Goma, soll sich General Laurent Nkunda zurückgezogen haben. Angeblich, um dem Frieden wieder eine Chance zu geben und die Versorgung der Flüchtlinge zu erleichtern. Doch das sind nur hohle Worte. Obwohl Nkunda eine Waffenruhe versprochen hat, erobern seine Truppen weiteres Gelände, zuletzt Ende November die Stadt Ishasha an der Grenze zu Uganda. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hat das einen Exodus von noch einmal 10.000 Menschen ausgelöst. Doch solche Nachrichten sind kaum zuverlässig. Im Korridor, der sich wie ein Niemandsland durch das Rebellengebiet im Ostkongo zieht, hört man davon nichts. Dort sind weder Blauhelme noch kongolesische Soldaten zu sehen, sondern nur die Kämpfer Laurent Nkundas, die bekannt sind für Wegezölle und Plünderungen.

"Um einen sicheren humanitären Korridor zu schaffen und das Leid der Zivilisten zu mindern, brauchen wir mehr Männer", sagt Oberstleutnant Jean-Paul Dietrich, Sprecher der UN-Friedensmission für die Demokratische Republik Kongo (MONUC/**). Dietrich ist erleichtert, bald 3.000 neue Soldaten zu erhalten. "Wir leben dicht an dicht mit den Kriegsparteien", meint er. "Wir sind mit unseren weißen Zelten und weißen Fahrzeugen weithin zu sehen und ein leichtes Angriffsziel. Man muss stets überlegen, wie man die Balance zwischen dem Schutz der Zivilisten und dem Schutz der Männer des MONUC-Kommandos wahrt." Eine mobile Truppe, die nicht an das Peacekeeping-Mandat gebunden sei, die brauche man eben, die könne dort eingreifen, wo die Blauhelme machtlos seien.

Jean-Paul Dietrich ist überzeugt, mit einer personellen Aufstockung der MONUC auch der Schutz der Zivilisten wieder gewährleisten zu können. "Wir fühlten uns in den vergangenen Wochen überfordert. Die Erwartungen waren zu hoch, wir konnten ihnen mit unseren 17.000 Mann nicht gerecht werden."

Bei allen Gesprächen im ruandischen Gisenij habe ich viel Unbehagen, oft auch Spott, über "diesen unfähigen MONUC-Haufen" herausgehört. Ruandas Generalstabschef James Kaberebe, der 1997 maßgeblich daran beteiligt war, dass im Kongo mit Hilfe seiner und der Armee Ugandas der Diktator Mobuto gestürzt wurde, hält nichts von der Mission der Blauhelme. "MONUC ist überflüssig und eine Verschwendung von Geldern", erklärt er mir unumwunden. Die UN-Soldaten würden den Zivilisten nicht helfen. "Wenn 17.000 keine Erfolge erzielen, wie soll das dann 20.000 gelingen? Haben Sie schon einmal etwas von einem gefallenen Blauhelm-Soldaten gehört? Nein? Und warum nicht? Weil die MONUC niemals dort ist, wo es Gefechte gibt. Stattdessen handeln deren Soldaten mit Edelsteinen und Rohstoffen."

Insgesamt 270.000 Menschen, sagt die Hilfsorganisation World Vision in Goma, seien noch immer auf der Flucht, mehr als 60 Prozent davon Kinder, von denen wiederum jedes fünfte im Chaos der Trecks die Familie verloren hat. Tausende dieser Kinder irren hilflos umher, eine bittere Bilanz der bereits im August ausgebrochenen Kämpfe. Die andere, nicht weniger erbarmungslose Konsequenz ist der Hunger, der in Kivu, einer der fruchtbarsten Provinzen Kongos, inzwischen herrscht. Er breitet sich aus, weil die Bauern aus Angst vor den Soldaten der kongolesischen Armee und den Rebellen Laurent Nkundas ihre Felder nicht mehr bestellen.

Celine Bahati lebt mit ihren zwei Kindern seit sechs Wochen im Lager Buhimba, einige Kilometer außerhalb der Provinzhauptstadt Goma. Buhimba ist das größte alle Camps für die Gestrandeten dieses Bürgerkrieges. Etwa 12.000 Menschen schlafen, kochen, hoffen und harren dort aus auf getretenem Lehm oder blankem Lavastein, mit nicht viel mehr als Bananenblättern und einer von internationaler Mildtätigkeit gestifteten Plane über dem Kopf. Trotz Bewachung gelangen nachts Plünderer ins Lager und stehlen die wenigen Habseligkeiten, die den Menschen bei ihrer Flucht geblieben sind. Der Verlust ist Routine in diesen Asylen der Trostlosigkeit, die Menschen trauern allein - um ein auf der Flucht verlorenes Kind oder ihr verlassenes Dorf, von dem sie nicht wissen, wann und wie sie es wiedersehen werden. Und ob überhaupt.

In Celine Bahatis Heimatort Kingi, erzählt sie, hätten sich kongolesische Soldaten Gefechte mit den Aufständischen von Nkunda geliefert. "Wir haben sie kommen hören, das Schießen ging schon vor dem Dorf los. Ich habe die Kinder genommen und bin losgelaufen. Ich hatte große Angst, von hinten oder von Querschlägern getroffen zu werden. Obwohl bei uns ganz in der Nähe Soldaten der MONUC standen, haben die nichts getan, um uns zu schützen."

Seit General Nkunda verstanden hat, dass Verbrechen an Zivilisten, die seinen Männern vorgeworfen werden, der eigenen Reputation schaden, hält er immer öfter vor der internationalen Presse Hof und präsentiert sich als kongolesischer Robin Hood. Die politische Rechtfertigung seines Vormarsches ist nicht falsch: Der Kongo sei in einem desolaten Zustand, die Regierung des Joseph Kabila korrupt. Die Bevölkerung hungere trotz all der Reichtümer, über die das Land verfüge. Armee und Polizei seien ein verlotterter Haufen, der vorzugsweise von Erpressung und Korruption lebe.

Ob aber ausgerechnet Nkunda zum Retter in Not berufen ist, bezweifeln selbst jene, für deren Rettung er antritt - die Tutsi des Kongo. "Dieser Mann hat keinerlei politische Erfahrung und keine Legitimation durch das Volk", wird in Goma immer wieder hinter vorgehaltener Hand gesagt. Wer freilich allzu harsche Kritik riskiert, der weiß nicht, wie ihm das bekommt, sollte der General mit dem verhärmten Gesicht eines nicht allzu fernen Tages die Stadt doch einnehmen.

An einem Straßenposten außerhalb von Goma haben Regierungssoldaten ein Seil quer über die Straße gespannt und die Fahrbahn mit großen Steinen blockiert. Wer hier passieren will, muss Dollar zücken. Einige Meter weiter stehen Blauhelm-Soldaten, die keine Anstalten machen, diesem Straßenraub Einhalt zu gebieten. "Wir haben Hunger", sagen die Regierungssoldaten und reiben sich mit der Hand den Bauch. Von 25 Dollar Sold könnten sie vielleicht in ihren Heimatdörfern existieren, aber nicht fern der Heimat unter Menschen hier im Osten, die ihnen nichts gönnten.

Auf die Frage, ob sie sich nicht vorstellen könnten, dass die Feindseligkeit der Bevölkerung etwas mit den ihnen angelasteten Plünderungen und Vergewaltigungen zu tun haben könnte, schütteln sie den Kopf. Einer der Soldaten hebt zu einer wortreichen Klage an, wie denn ein Mann leben solle, wenn er so dreckig aus dem Busch komme, dass ihn die Frauen nur mit Abscheu ansähen, ihm aber das Geld fehle, sich Liebe zu kaufen. Es klingt so, als seien die Umstände Schuld an den Vergewaltigungen, nicht die Ziellosigkeit und der moralische Stumpfsinn, der die kongolesische Armee durch diesen Krieg treibt.

In einem Hospital der Organisation Heal Africa am Rande von Goma waren Stunden zuvor noch Frauen zu sehen, die nach einer Massenvergewaltigung behandelt wurden. Ihren Unterleib hatten Soldaten mit Machten und Knüppeln verletzt, viele zitterten vor Angst und flüsterten, sie könnten mit Aids infiziert worden sein.

Lyn Lusi, eine Engländerin, die gemeinsam mit ihrem Mann, einem kongolesischen Chirurgen, dieses Privatkrankenhaus vor 14 Jahren gegründet hat, schüttelt nur den Kopf, wenn man ihr berichtet, wie oft auf der Reise durch die Kivu-Provinz die Forderung zu hören war, die MONUC solle sich zurückziehen. "Die Frauen in diesem Land sind auf jeden Schutz angewiesen. Egal, ob staatliche Armee oder Rebellengruppen, sie alle nutzen Vergewaltigungen als Kriegswaffe. Sie zerstören damit Familien und Gemeinschaften. Wer verlangt, die Blauhelme sollten gehen, macht sich nicht klar, welcher Willkür die Zivilisten dann ausgesetzt wären."

Als ich am Tag darauf ins Lager Buhimba zurückkehre, hat Celine Bahati gerade ein paar Sachen zusammengepackt und sich entschlossen, in das einige Kilometer entfernte Camp Minova zu wandern, um dort ein paar Lebensmittel zu erhalten. "Der Frieden wird auf sich warten lassen", sagt sie leise. "Bis er kommt, bin ich mit meinen Kindern verhungert."

(*) CNDP/Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes

(**) MONUC/Mission de l´Organisation des Nations Unies en République Démocratique du Congo

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